Die Entlarvung
Erklärungen wollte er erst gar nichts wissen …
Ich habe nichts gesagt, weil du mich sonst zurückgehalten hättest. Und ich habe im Moment nicht die Kraft für irgendwelche Auseinandersetzungen. Dieses Projekt erfordert meinen ganzen Mut …
Mut. An dieser Stelle wäre er beinahe explodiert. Sturheit, Dummheit – diese Begriffe erschienen ihm angebrachter. Außerdem setzte Julia eigenartige Prioritäten. Die Familie, er … all das war nicht wichtig. Für sie zählte offenbar nur der Erfolg … Beim Anblick der aufgelösten May Hamilton beruhigte er sich ein wenig und entschuldigte sich für seine Heftigkeit. Er hatte nicht beabsichtigt, die arme Frau so aufzuregen. Die Hamiltons wußten nichts von dem Anschlag auf ihre Tochter. Er sah sich momentan außerstande, sie darüber aufzuklären.
Deshalb erfand er eine Geschichte. Julia habe einen Job angeboten bekommen, von dem er ihr abgeraten habe. Nun sei sie aber doch hingefahren, ohne ihn vorher zu informieren. Er sei verletzt und zornig, wolle seine Gefühle aber nicht an ihnen auslassen. Sie seien so freundlich zu ihm und Lucy gewesen. Er schlug vor, daß er und seine Tochter nach London zurückfuhren, aber Julias Eltern wollten nichts davon hören. May Hamilton wischte sich die Tränen ab, lächelte und bat: »Bitte bleiben Sie doch, allein schon wegen Lucy. Wann kommt Julia denn zurück?« Er konnte ihre Frage nicht beantworten.
… Ich weiß nicht, wie lange ich fort sein werde. Aber ich muß die Sache durchstehen. Bis zum bitteren Ende. Wenn ich wieder da bin, erzähle ich dir alles. Versprich, daß du mir dann zuhörst …
»Ein paar Tage kann es schon dauern«, meinte Ben schließlich. »Genaueres hat sie mir nicht gesagt. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir natürlich gern. Lucy fühlt sich hier so wohl. Danke …«
Den Rest des Tages verbrachten sie in angespannter Stimmung, von der Lucy aber nichts bemerkte. Ihr zuliebe setzten alle fröhliche Gesichter auf und bemühten sich um einen ungezwungenen Ton. Ben war froh, als er sich endlich auf sein Zimmer zurückziehen konnte. Am liebsten hätte er sich betrunken, sein Bewußtsein ausgeschaltet. Aber in dem Bett, in dem er sich vor kurzem noch mit Julia geliebt und ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, konnte er noch nicht einmal Schlaf finden. Die Ehe, eine feste Bindung, kam für Julia nicht in Betracht. Er hatte sich etwas vorgemacht. Für sie beide gab es keine Zukunft – keine Familienidylle mit einem Kind anstatt einer Katze … Ihre Karriere war wichtiger. Sie hatte immer Vorrang gehabt – eine Tatsache, der er nun ins Gesicht sehen mußte. Sie war entschlossen, Harold King zur Strecke zu bringen. Und sie wollte es nicht allein tun. Ich begebe mich in keine Gefahr, bitte beunruhige dich nicht. Jemand wird mir helfen. Eine andere Person, nicht er. Wer? Wen mochte sie ins Vertrauen gezogen haben? Felix Sutton. Ihn hatte sie nach dem versuchten Mordanschlag auf sie angerufen. Mit ihm war sie am gleichen Abend aus gewesen. Sutton, der Ex-Boxer, mußte der ›jemand‹ sein, den sie auf ihre Expedition mitgenommen hatte. Er, Ben, war ihr wohl zu vorsichtig, zu beschäftigt mit Lucy … zu alt.
In den frühen Morgenstunden schlich er sich nach unten und bediente sich an Hugh Hamiltons Whisky. Dann wählte er Felix Suttons Nummer. Die Feiertage waren vorüber, die Redakteure und Journalisten arbeiteten wieder, aber im Politikressort gab es möglicherweise nicht viel zu tun. Das Parlament war seit der Weihnachtspause noch nicht wieder zusammengetreten. Er kippte einen Whisky nach dem anderen hinunter, während er das Telefon klingeln ließ. Geh ran … antworte, du Mistkerl, dachte er ungeduldig. Aber Sutton meldete sich nicht. Er hatte nicht einmal seinen Anrufbeantworter eingeschaltet. Er war nicht zu Hause.
Ben stolperte nach oben in sein Zimmer, ließ sich aufs Bett fallen und versank in einen unruhigen, alkoholschweren Schlaf. Als er am Morgen aufwachte, wußte er, daß er keine weitere Nacht im Haus der Hamiltons verbringen konnte. Zu Hugh sagte er: »Ich muß gestehen, daß ich mich letzte Nacht an Ihrem Scotch vergriffen habe. Ich konnte nicht schlafen. Ich schulde Ihnen eine Flasche.«
»Unsinn«, meinte Hugh. »Ich habe mich selbst daran bedient.« Er senkte die Stimme, damit ihn seine Frau nebenan in der Küche nicht hörte. »Diese ganze Aufregung ist nicht gut für May. Ich sage das ungern, aber Julia hat sich sehr rücksichtslos benommen. Wir dachten, sie hätte sich
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