Die Entlarvung
fuhr los. Einmal hatte sie ihn bisher zu einem sonntäglichen Mittagessen mitgenommen. Sie hatte sofort gespürt, daß er ihren Eltern nicht gefallen hatte. Im Moment mochte sie ihn selbst nicht besonders, was sie doch ein wenig überraschte.
Das Problem war nur, daß sich alle ihre Bedenken in Luft auflösten, sobald er sie nur berührte.
Das Mittagessen schmeckte ausgezeichnet. Gute, solide englische Kost – wie ihr Vater zu verkünden pflegte – war besser als alles andere auf der Welt. Mariniertes Fleisch oder aufwendig zubereitetes Gemüse konnte er nicht ausstehen. Julia hörte ihm gerührt zu. Er änderte sich nie. Solide wie ein Fels ruhte er in sich selbst, überzeugt von seinen konservativen Wertvorstellungen und seiner Integrität als Ehemann, Vater und Rechtsanwalt. Durch seinen Beruf hatte er eine sehr genaue Menschenkenntnis entwickelt, ohne dabei zum Zyniker zu werden. Dies allein war schon sehr bemerkenswert. Er lächelte sie warm an.
»Du siehst so verschmitzt aus, Juliette.« Er benutzte den Kosenamen aus ihrer Kindheit. »Ist irgend etwas passiert?«
Sie hatten den Tisch abgeräumt und das schmutzige Geschirr in der Spülmaschine verstaut. Nun saßen sie draußen im Garten, tranken zusammen Kaffee und genossen den angenehmen Frühlingsnachmittag. »Ja«, fand auch Julias Mutter, »du strahlst, als hättest du das große Los gezogen …«
»Ihr werdet es kaum glauben, aber so ist es. Ich habe das große Los gezogen«, antwortete Julia. »Gestern war ich bei meinem Boß eingeladen. Er hat mir einen wunderbaren Job angeboten. Eine eigene Kolumne.«
»Oh?« Das strahlende Lächeln ihrer Mutter ließ ein wenig nach. Offensichtlich hatte sie auf ein anderes Los gehofft. Einen netten Mann, eine baldige Hochzeit. Natürlich nicht mit Felix, der sich wie ein selbstgefälliger Flegel benommen hatte, als Julia ihn ihren Eltern vorgestellt hatte. »Was für eine Kolumne?«
»Nun, etwas in der Art wie die ›Einblicke‹. Nur sehr viel härter, aggressiver.« Julia wußte, daß ihr Vater ein begeisterter Leser der Sunday Times war.
»Großer Gott – das ist wirklich eine Neuigkeit. Und du leitest das Ganze?« erkundigte er sich aufgeregt.
Julia nickte. »Ja, Dad. Ich werde das Kind schaukeln, ich bin die Chefin. Abgesehen davon natürlich, daß ich Western verantwortlich bin. Er möchte, daß ich mich als erstes um Harold King kümmere und herausfinde, ob er irgendwelchen Dreck am Stecken hat. Ist das Ganze nicht unglaublich? Ein fürstliches Gehalt, Spesen, Mitarbeiter – alles, was ich nur will …«
Ihre Mutter schwieg. Daß Julia den schmutzigen Machenschaften anderer Leute nachspüren sollte, sagte ihr nicht zu. Nach einer gewissen Pause meinte der Vater nachdenklich: »Harold King … Hat er nicht vor ein paar Jahren mit skrupellosen Mitteln einen hohen Richter ruiniert? Doch, ich erinnere mich. Ich würde mich an deiner Stelle davor hüten, ihn mir zum Feind zu machen. Der Mann hat einen sehr schlechten Ruf.«
»Sein Ruf ist mir bekannt«, erwiderte Julia. »Wie auch die Tatsache, daß er ihn selbst lanciert hat. Er hat nämlich einiges zu verbergen und ist darauf aus, möglichst abschreckend zu wirken. Ich aber lasse mich nicht so leicht einschüchtern, Dad.«
»Das weiß ich doch, Kind«, beschwichtigte sie der Vater. »Du bist immer ein sehr mutiges Mädchen gewesen. Aber sei trotzdem vorsichtig, ja? Selbst in unserer etwas hinterwäldlerischen Kanzlei haben wir einige sehr unschöne Dinge über diesen Gentleman gehört.« Um Julias Enthusiasmus nicht weiter zu dämpfen, fügte er hinzu: »Und nun meine allerherzlichsten Glückwünsche. Wir sind sehr stolz auf dich – nicht wahr, May?«
»O ja, sehr«, bestätigte die Mutter. Sie sagte dies nicht aus Höflichkeit. Sie und ihr Mann waren wirklich stolz auf ihre Tochter, auch wenn sie in einer Welt lebte, zu der sie keine Beziehung hatten. Julias Erfolg machte sich überall bemerkbar. Man brauchte sich nur das teure Auto, die eleganten Kleider und die generösen Geschenke anzusehen, die sie an Weihnachten und an Geburtstagen verteilte. Aber ihr Lebensstil war den Eltern völlig fremd. Sie bekannten sich zu ihren altmodischen Anschauungen und enthielten sich ansonsten jeglichen Urteils.
Nichtsdestotrotz fiel ihnen der Umgang mit dem Sohn, der Schwiegertochter – einer sympathischen, vernünftigen Frau – und den geliebten Enkelkindern leichter. Glamour und Höhenflüge waren schön und gut, letztendlich aber brauchte eine
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