Die Entlarvung
wirklich. Ich bewundere deine Fähigkeiten. Du schaffst es ganz nach oben. Und eines Tages werde ich neben dir stehen. – Möchtest du, daß ich ausziehe?«
»Ja«, sagte sie langsam. Sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie den Tränen nahe war – vermutlich vor lauter Müdigkeit. Sie hatte nicht genug geschlafen, das war alles. In nächster Zeit würde sie viel zu beschäftigt sein, um sich einsam zu fühlen. »Ja, aber ich will dich nicht unter Druck setzen. Warte ruhig, bis du etwas gefunden hast, das dir gefallt. In der Zwischenzeit … können wir uns ja ein wenig aus dem Weg gehen. Ich muß jetzt los, Felix, sonst komme ich zu spät.«
»In Ordnung. Ich dusche erst einmal und rasiere mich, dann mache ich mich auch auf. Ich sehe zu, daß ich schnell etwas organisieren kann. Und tu mir einen Gefallen, ja? Weine nicht. Wir bleiben Freunde.« Er sah ihr nach, als sie aus der Küche eilte. Irgendwie schade, dachte er und fühlte sich leicht deprimiert. Sie war ein fantastisches Mädchen. Aber sie hatte recht. Er hatte schon im letzten Jahr angefangen, sie zu betrügen.
Er verbrachte seine Nachmittage nicht immer im Fitneßcenter oder beim Squash. Es war an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen. Zeit, aus Julias Schatten herauszutreten und auf eigenen Beinen zu stehen. Seine Freunde hatten ihm schon seit einer ganzen Weile dazu geraten. Julia war nur unwesentlich älter als er, aber sie hatte den Status und das Geld. Tief in seinem Inneren fühlte er sich durch sie erniedrigt – und hatte sie deshalb betrogen, was seine Selbstachtung aber nicht unbedingt vergrößerte. Er stand auf, stellte seine Tasse in das Spülbecken und verließ die Küche, um sich für die Arbeit fertigzumachen. Er hörte, wie sich die Wohnungstür schloß, und wußte, daß Julia gegangen war.
»Also?« fragte Ben Harris. »Womit fangen wir an?«
»Mit dem Anfang«, bestimmte Julia. »Seite eins, erste Zeile. Woher wissen wir, daß Phyllis Lowe tot ist?«
Er sah stirnrunzelnd auf. »Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie die Sache überprüft? Hat irgend jemand die Sterbeurkunde zu Gesicht bekommen? Nein, natürlich nicht. Alle glauben King aufs Wort. Deswegen habe ich heute morgen jemand aufs Amt geschickt, damit nachgesehen wird, ob eine Phyllis Lowe zwischen April und Juni 1949 gestorben ist. Um diesen Zeitraum muß es sich ungefähr handeln, wenn man Kings biographischer Dichtung Glauben schenken darf. Phyllis ist im April – mit dem Erscheinen der ersten Narzissen – an Krebs erkrankt und daran gestorben, als die Rosen in ihrem Garten blühten. Unsere Überprüfung hat nun ergeben, daß in besagtem Zeitraum niemand mit dem Namen Phyllis Lowe verstorben ist.« Sie breitete den Auszug aus dem Sterberegister vor ihm aus. »In den übrigen Monaten des Jahres '49 hat es zwar ein paar Frauen namens Phyllis Lowe gegeben, die in London an Krebs gestorben sind. Aber sie waren alle viel zu alt, als daß es sich um unsere Phyllis hätte handeln können. Sehen Sie selbst.«
Ben überflog die Liste.
»Großer Gott«, stieß er hervor. »Sie haben recht. Angenommen, die Daten und der Ort sind erfunden – vielleicht um eine schöne, rührselige Geschichte daraus zu machen … so heißt das doch nicht, daß die Frau nicht tot ist …«
»Jedenfalls ist sie nicht so gestorben, wie King es uns weismachen möchte«, betonte Julia. »Ben, das Ganze mag eine absurde Idee sein, aber ich werde ihr nachgehen.«
»Was für eine absurde Idee?«
»Ich halte es für möglich, daß die Frau noch lebt. Und wenn dem so ist, möchte ich mit ihr sprechen. Die Frage ist jetzt nur, wo wir mit der Suche nach ihr beginnen.«
»Die UNRRA hat Akten über ihr gesamtes Personal geführt. Irgendwo werden die Dinger sicher noch aufbewahrt. Darin sind alle persönlichen Angaben enthalten, so bestimmt auch die Adresse, die nächsten Verwandten und ähnliches. Aber J., das Ganze ist vierzig Jahre her …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Julia. »Aber die Leute hatten Ausweise, Lebensmittelkarten. Ich habe ein gutes Nachforschungsteam. Das wird schon irgendwelche Spuren finden.«
»Am besten fangen sie in der Gegend an, wo King mit Phyllis Lowe zusammengelebt hat«, schlug Ben vor. »Es steht doch etwas darüber in dem Buch – das Haus mit den verdammten Rosen im Garten. Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie die ansässigen Ärzte befragen sollen. Manche Praxen heben die Karteikarten jahrzehntelang auf, selbst wenn der Patient längst gestorben ist.«
»Bei
Weitere Kostenlose Bücher