Die Entlarvung
Bekannten dokumentiert worden. Er ist in die Obhut einer Engländerin entlassen worden, die in dem Lager gearbeitet hat. Die Entlassung ist von der Militärbehörde gebilligt und genehmigt worden. Er durfte daraufhin bei ihr wohnen.«
Julia mischte sich erneut in das Gespräch ein. Sie hatte das Gefühl, daß Ben die Frau gegen sich eingenommen hatte. Sie versuchte es deshalb auf eine sanftere Art. »Wenn wir nur einmal nachschauen dürften, ob es später irgendeine Verbindung zwischen der Engländerin und meinem Onkel gegeben hat. Meine Mutter leidet sehr unter dieser Ungewißheit, zumal sie zur Zeit gesundheitliche Probleme hat. Vielleicht finden wir einen Anhaltspunkt. Bitte!«
Die Frau zögerte einen Moment, zuckte dann mit den Schultern und entschloß sich zu ihrer guten Tat des Tages.
»Sie können unser Material durchsehen. Aber ich glaube nicht, daß etwas für Sie dabei ist. Es sei denn, Sie haben das letztemal etwas übersehen.« Dies war als kleiner Seitenhieb gegen Ben gedacht.
»Davon möchten wir uns nur überzeugen«, beteuerte Julia, bevor Ben etwas entgegnen konnte. »Um ganz sicherzugehen. Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
»Füllen Sie bitte dieses Formular aus. Ich hole jemanden, der Sie nach unten begleitet, sobald Ihr Besuch genehmigt ist. Setzen Sie sich. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.«
Sie mußten eine volle halbe Stunde warten, bevor ein Mädchen mit dem unterschriebenen Formular zurückkam. Ben flüsterte Julia zu: »Ich glaube, die Frau eben war eine Lesbe. Ich habe bei ihr überhaupt nichts ausrichten können.«
»Vielleicht solltest du es einmal mit Charme versuchen«, empfahl Julia.
»Besitze ich nicht.« Er folgte ihr die Treppe hinunter in das untere Stockwerk.
Ein muffig-feuchter Geruch umfing sie. Sie betraten einen nüchternen, häßlichen Raum, der durch eine künstliche Lichtquelle erhellt wurde und nichts weiter enthielt als aufeinandergestapelte Akten und einen Metalltisch mit einem harten Stuhl davor.
Das Mädchen sprach deutsch mit ihnen. »Die Akten mit den Flüchtlingsunterlagen der Kontrollkommission von 1949 finden Sie unter der Nummer 17.203. Ich lasse Sie jetzt alleine. Sie haben zwei Stunden Zeit, bevor wir schließen. Neben der Tür ist eine Klingel. So können Sie uns rufen, wenn Sie fertig sind.«
»Machen wir«, versicherte Harris. Er lächelte das Mädchen breit an und erkundigte sich dann bei Julia: »Besser so?«
»Nicht viel. Sie hat sich vielleicht gefragt, ob du sie beißen wolltest. Überlaß das Schmeicheln mir, Ben. Du kannst das einfach nicht. Also – legen wir los!«
»Nichts!« rief Ben Harris aus. Die zwei Stunden waren beinahe um. In dem Raum war es staubig und kalt. »Genau wie damals. Keinerlei Hinweis. Phyllis Lowe hat King aus dem Lager geholt, wir wissen, wo sie gelebt haben – ich bin einmal in der Gegend gewesen, aber das Haus gibt es nicht mehr – und dann die offizielle Mitteilung über die Rückkehr nach England. Nichts weiter«, wiederholte er. »Komm, J., wir verschwenden nur unsere Zeit.«
Julia stützte sich auf den Tisch. Ihre Ellbogen schmerzten von der harten Oberfläche. Der Staub aus den alten Dokumenten hatte sich ihr auf die Schleimhäute und auf die Hände gelegt. »Hier stimmt irgend etwas nicht«, wandte sie ein. »Die Informationen können doch nicht so abrupt aufhören. Ben – man hat uns Zugang zu den Akten gewährt und uns sogar alleine gelassen. Vielleicht war schon vor uns jemand hier und hat etwas aus den Akten herausgenommen?«
»Was? Du meinst, King ist hier gewesen?«
»Wenn nicht King, dann jemand anders. Ist dir nicht aufgefallen, daß es zu Phyllis Lowe überhaupt keine Informationen gibt – bis auf die spärlichen Ausführungen über ihre Arbeit bei der UNRRA. Die Behörden hätten sie doch niemals als Bürgen für den staatenlosen King akzeptiert, wenn sie nicht eine vertrauenswürdige, verantwortungsvolle Person gewesen wäre. Sie muß zumindest einen offiziellen Antrag gestellt haben, von dem hier aber nichts zu sehen ist. Keine Spur auch von den Antwortschreiben des zuständigen Sachbearbeiters oder von seiner Beurteilung des Falls. Lediglich das Entlassungsdokument aus dem Lager liegt vor. Gib es mir noch einmal. Ich möchte nachsehen, ob es fortlaufende Seitenzahlen gibt.«
Ben blätterte die Seiten zurück. »Hier.« Er reichte ihr die Unterlagen. »Leider kein Glück, furchte ich. Keine Seitenzahlen, keine Anzeichen dafür, daß irgend etwas fehlt. Aber du hast
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