Die Entlarvung
lassen.«
»Hast du Kinder?« erkundigte sich Julia. Sie saßen in einem der lebhaften Cafés an der Hauptstraße, nachdem sie einen kurzen Imbiß zum Mittagessen eingenommen hatten.
»Zwei. Einen Sohn und eine Tochter. Wir haben nicht viel Kontakt. Um ehrlich zu sein, eigentlich gar keinen.« Er klang ein wenig bitter.
»Das tut mir leid«, sagte Julia unbeholfen. »Es muß schwer für dich sein.«
»Sie haben sich auf die Seite ihrer Mutter gestellt. Damit war der Fall für sie erledigt. Ich habe nicht versucht, sie umzustimmen. Sie sind alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen.«
Die Trennung war anscheinend unschön verlaufen. Julia wollte ihn daher nicht mit weiteren Fragen bedrängen. Zu ihrer Überraschung begann Ben von sich aus zu sprechen. Er nahm einen Schluck Kaffee, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte: »Helga und ich haben uns kennengelernt, als sie über ein Austauschprogramm nach England gekommen ist. Sie hat in unserer Familie gelebt, um Englisch zu lernen, während mein Bruder nach Deutschland gegangen ist und bei ihrer Familie gewohnt hat. Sie war sehr hübsch – blond, mit blauen Augen – und nett obendrein. Ich habe mich sofort in sie verliebt. Nach unserer Heirat habe ich als Reporter beim Birmingham Adviser gearbeitet. Wir haben in einer Mietwohnung gelebt, und Helga hat etwas Geld als Haushaltshilfe dazuverdient. Wir hatten trotzdem nicht viel Geld, sind aber ziemlich glücklich gewesen. Schade, daß sich dann alles so unglücklich entwickelt hat.«
Julia beugte sich ein Stück vor. Er litt immer noch darunter, das konnte sie sehen. Nun war ihr klar, weshalb er so gut Deutsch sprach.
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe beim Herald angefangen«, erklärte er. »Wir hatten seit zwölf Jahren in Birmingham gelebt, besaßen ein nettes kleines Haus in einem Vorort, sie hatte viele Freunde, ging vielen Aktivitäten nach – kurz, wir führten ein solides Mittelklasseleben. Die Kinder waren gut in der Schule, ich hatte einen angenehmen Posten bei der Birmingham Post. Aber mir fehlte die Herausforderung. Ich wollte nicht auf der Stelle treten. Das Angebot beim Herald stellte eine einmalige Chance dar. Also habe ich zugegriffen und die ganze Familie nach London transferiert. Das dumme war nur, daß es ihnen dort nicht gefallen hat. Helga nicht, den Kindern nicht, und ich habe mich in meine Arbeit geflüchtet. Wir haben uns gestritten, ich bin immer seltener nach Hause gekommen – was bei unserem Beruf nicht schwerfällt, wie du ja selber weißt – und am Ende hat sie mich verlassen. Sie ist zurück nach Birmingham gegangen, hat sich einen Job gesucht, hat einen anderen Mann getroffen und sich wieder verheiratet. Ende der Geschichte. Möchtest du noch einen Kaffee, oder sollen wir uns an die Arbeit machen?«
Das Thema Ehe war damit für ihn beendet. Julia spürte, daß er sich nicht weiter darüber auslassen wollte. »Ja, machen wir uns an die Arbeit«, stimmte sie zu. »Danke, daß du mir all dies erzählt hast, Ben. Wo wollen wir also anfangen?«
»Es kann nicht schaden, wenn wir noch einmal die Stellen aufsuchen, wo ich schon vor zehn Jahren gewesen bin. Nehmen wir uns also das Rathaus und das Archiv vor. Die Leute sind damals nicht sonderlich entgegenkommend gewesen, aber vielleicht hat sich das ja geändert – jetzt, wo wir eine große, glückliche europäische Familie sind.«
»Darf ich nach dem Grund für Ihr Ansinnen fragen?« Die Frau war ungefähr Mitte Dreißig. Sie sah sie abschätzig und mißtrauisch an – typisch für viele Beamte – als wolle sie sagen: Was in Gottes Namen haben diese Fremden mit Archivmaterial aus den späten vierziger Jahren zu schaffen …?
»Wir versuchen, einen verschollenen Verwandten ausfindig zu machen«, erklärte Ben.
»Das fällt Ihnen ja ziemlich spät ein. Ein Deutscher?«
»Nein«, fiel Julia ein. Die Frau sprach englisch mit ihnen. »Mein Onkel. Damals besaß er keine Nationalität. Er war in einem Auffanglager.«
Die Frau zog ihre dünnen Augenbrauen in die Höhe. »In dem Fall haben wir bestimmt keine Unterlagen über ihn. Ich wüßte auch nicht, wo Sie derartiges Material finden könnten. Das alles ist schon so lange her. Tut mir leid.«
Sie wandte sich ab, wurde jedoch von Ben zurückgehalten. »Ich weiß, daß Sie über Akten der Britischen Kontrollkommission verfügen. Ich habe sie gesehen, als ich vor ein paar Jahren hier gewesen bin. Und es sind auch ein paar Informationen über den Onkel meiner
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