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Die Entlarvung

Titel: Die Entlarvung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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schnell, welche zwei Überlebensregeln er zu befolgen hatte. Erstens mußte man sich bei den Leuten nützlich machen, die Macht besaßen – also bei den brutalen Burschen, die im Schlafsaal regierten, und bei den Mönchen, die das Heim leiteten. Zweitens mußte man sich von allem Ärger fernhalten, durfte also weder selbst aufmucken noch andere dabei unterstützen. Er war nur sich selbst gegenüber loyal, niemandem sonst. Den strikten religiösen Prozeduren paßte er sich an, ohne die eigentlichen Inhalte aufzunehmen, ohne einen Sinn für Moral zu entwickeln. Bald war er bekannt dafür, daß er jede unangenehme Arbeit übernahm, daß er Querulanten nachspionierte und daß er sexuelle Dienste erbrachte, sofern sie von ihm gewünscht wurden. Die Mönche versahen ihn mit einem guten Zeugnis, als er das Heim verließ, und stellten ihn dem Besitzer eines kleinen Geschäfts vor, der auf ihre Empfehlung hin Jugendliche einstellte. Nach drei Monaten ließ Joe eine Bande durch die Hintertür in den Laden hinein. Die Männer prügelten den Besitzer bewußtlos und raubten dann die Kasse aus. Joe versetzten sie einen leichten Schlag auf den Kopf, damit er nicht verdächtigt wurde.
    Seit seinem Eintritt in die kriminelle Gesellschaft der Stadt hielt er sich an die gleichen Regeln, die für ihn schon im Heim gegolten hatten. Er machte sich nützlich und verhielt sich ansonsten möglichst unauffällig. Er wußte, daß er viel klüger war als seine Auftraggeber, die ihn für ein paar Pfund irgendwelche Schmutzarbeiten verrichten ließen.
    Er beobachtete Geschäfte und Privatgebäude, die als mögliche Einbruchsobjekte in Frage kamen, und gab seine Tips gegen Geld weiter. Außerdem suchte er nach Mädchen, die sich zur Prostitution eigneten. Er zog durch Bars und Nachtclubs, wobei er nach Teenagern Ausschau hielt, die Drogen nahmen oder von zu Hause weggelaufen waren. Hatte er ein paar drogensüchtige Mädchen aufgetrieben, reichte er sie an Zuhälter weiter, die mit Stoff handelten. Ein paar Prostituierte ließ er für sich selbst anschaffen. Kamen sie auf die Idee, Geld zu unterschlagen oder zu wenig zu arbeiten, schlug er so erbarmungslos auf sie ein, wie er als Kind selbst verprügelt worden war.
    Joe sah gut aus. Er war groß und schlank, hatte ein typisch irisches Gesicht, dunkles, gelocktes Haar und kleidete sich immer nach der neusten Mode. Einen gewissen Makel stellten allerdings seine schlechten Zähne dar. Neben seinen dubiosen Tätigkeiten arbeitete er für die Polizei als Spitzel, so daß er stets auf recht dünnem Seil balancierte und gefährlich lebte – trotz all seiner Beweglichkeit.
    Er hatte einen Saufkumpanen, einen ständig umnebelten Polizisten, der mehr mit Joes Ganovenfreunden gemein hatte als mit der Institution, für die er arbeitete. Von ihm bekam er den Rat, schnellstens aus Dublin zu verschwinden. Verschiedene Leute hatten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Deshalb sollte er sich davonmachen, solange er noch auf seinen zwei Beinen stand. Joe beherzigte die Warnung. Er besaß etwas Geld, eine Menge Kleider und die Adresse, die ihm sein Kumpel gegeben hatte. Er fuhr nach London, stellte sich in einer kleinen, zwielichtigen Privatdetektei vor und begann dort zu arbeiten.
    Über die Detektei kam er in Kontakt mit Harold King – das war der Beginn einer achtzehnjährigen Zusammenarbeit. Als erstes sollte er einen Journalisten überwachen, der unfreundliche Artikel über Kings Verlag und seine pornographischen Produkte veröffentlicht hatte. Joe wurde angewiesen, nach kompromittierendem Material zu suchen. Er fand nichts, deshalb lieferte er es selbst. Nebenbei hielt er sich immer noch zwei, drei Mädchen, von denen er eines auf den Journalisten ansetzte. Er fotografierte die beiden, wie sie sich auf dem Rücksitz eines Autos miteinander amüsierten. Danach erschienen keine Artikel mehr über Kings Pornomagazine. Neugierig geworden, bestellte King den Mann zu sich.
    Der schien Initiative zu besitzen. Niemand hatte ihm gesagt, daß er das Opfer in eine Falle locken sollte. Aufmerksam musterte King den schmierigen jungen Mann mit den wachen, listig wirkenden Augen. Er sah billig und verschlagen aus, aber unter der wirren Lockenpracht verbarg sich offensichtlich ein helles Köpfchen. King musterte ihn erneut und traf eine Entscheidung.
    Jemanden wie diesen Kerl aus der Gosse konnte er gut gebrauchen. Ihn zu kontrollieren würde kein Problem darstellen. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre und sagte:

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