Die Entlarvung
vorzeitigen Ruhestand versetzt worden – offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Er ist ein guter Soldat gewesen und hatte viele Freunde. Sie haben sich für ihn eingesetzt, haben versucht zu verhindern, daß er wegen seiner Neigungen durch den Dreck gezogen wird. Ich habe die Story fallenlassen.« Er sah Julia aufmerksam an. »Ich bin ein wenig altmodisch, J. Mir widerstrebt es, Menschen für nichts und wieder nichts ans Messer zu liefern. Auch wenn sich so etwas gut verkaufen läßt. Über die Kontakte zum Ministerium werden wir Major Grant finden, sofern er noch lebt.« Er schaute auf seine Uhr. »Heute ist es zu spät, um noch anzurufen. Ich erledige das gleich morgen früh. Ich kenne ein nettes kleines Restaurant, wo wir zusammen essen könnten – wenn es noch existiert.«
»Warum nicht? Treffen wir uns um acht in der Bar.«
»Sagen wir um sieben«, meinte Ben. »In der Provinz essen die Leute zeitig zu Abend.«
Felix hatte ein Einzimmerapartment in Pimlico gefunden. Das Mädchen, mit dem er hin und wieder ins Bett ging, hatte die freie Wohnung entdeckt und vorgeschlagen, daß er sie sich einmal ansah. Er wußte, daß seine Bekannte ganz in der Nähe lebte, störte sich aber nicht weiter daran.
Es war ein Mädchen, mit dem man viel Spaß haben konnte. Er hatte jedoch nicht vor, sich auf eine festere Beziehung einzulassen. Er packte seine Kleider, seine Anlage und seine CDs zusammen und war froh, daß Julia im Moment verreist war. Es wäre ihm unangenehm gewesen, ihr dauernd über den Weg zu laufen. Bevor sie weggefahren war, hatte er zwei Nächte bei einem Freund geschlafen.
Er hegte keinerlei Groll gegen Julia, sondern war eher überrascht, wie sehr ihn das Ende der Beziehung erleichterte. Trotz ständiger Betonung seiner Freiheit und seiner Unabhängigkeit, hatte er im letzten Jahr doch sehr unter Druck gestanden, da er auf Julias Kosten gelebt und sich unwohl dabei gefühlt hatte. Je stärker dieses Gefühl wurde, desto launischer und egoistischer war er geworden, um jegliche Verpflichtung möglichst von sich zu weisen; nach dem Motto: Ich bin ein freier Mann, und erst jetzt konnte er sich eingestehen, daß er sich etwas vorgemacht hatte. Die Spötteleien der anderen Leute hatten Julia verletzt und gekränkt. Er hatte zwar so getan, als mache er sich nichts daraus, doch war das Gerede auch ihm an die Nieren gegangen und hatte ihn dazu gebracht, sich als ausgemachter Macho aufzuführen, seine sexuelle Wirkung auf Julia bewußt einzusetzen, um sie zu unterwerfen und gelegentlich auch zu erniedrigen. Er sah sich in der Wohnung um, die sie miteinander geteilt hatten, betrachtete die fürchterlichen Bilder, auf die sie so stolz war, und atmete erleichtert auf, daß er all dies hinter sich lassen konnte. In seiner Euphorie schrieb er ihr einen kleinen Abschiedsbrief: Ich hoffe, ich habe keine allzu große Unordnung verursacht. Danke für ein paar sehr schöne Momente. Ich bin unter Nr. 832 84 74 zu erreichen, falls Ihr einmal nach einem Drink zumute ist. Felix. Nach dieser Geste fühlte er sich noch besser und verließ die Wohnung leichten Herzens. Bevor er aus dem Haus ging, warf er die Wohnungsschlüssel in den Briefkasten.
Der pensionierte Detektiv, der auf der anderen Straßenseite geparkt und das Haus beobachtet hatte, sah zu, wie Felix wegfuhr. Er war seit achtundvierzig Stunden im Einsatz – seit Joe sein Interesse an dem Gebäude bekundet hatte. Zunächst hatte die Frau das Haus mit Gepäck verlassen und nun auch der Freund. Er konnte Joe mitteilen, daß die Luft rein war.
Joseph Patrick war ein Mann für alle Fälle. Seit seiner frühen Kindheit in einem Dubliner Waisenhaus hatte er sich darauf spezialisiert, zu organisieren und unangenehme Dinge für andere zu erledigen. Man hatte ihm den Nachnamen Patrick gegeben, weil er am St.-Patricks-Tag auf den Stufen des Waisenhauses abgelegt worden war. Er war ein zartes, schmächtiges Kind gewesen, das seinen ganzen Verstand hatte zusammennehmen müssen, um sich gegen die Gemeinheiten der älteren Jungen zu wehren und der harten Disziplin der Klosterbrüder standzuhalten, die sich um menschlichen Abfall wie ihn kümmerten. Das Waisenhaus nahm alles auf – Bastarde, Waisen, Slumkinder, verstoßen aus Scham oder wegen bitterster Armut. Kinder aus Familien, die durch Tod, Verschuldung oder Alkoholismus auseinandergebrochen waren. Nur wenige der Insassen erreichten das Erwachsenenalter, ohne seelische Narben davongetragen zu haben. Joe Patrick begriff
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