Die Entlarvung
Faschismus, nach dem Zweiten Weltkrieg für tot erklärt, lebte. Überall gab es Anhänger und Sympathisanten, die sich für seine Zwecke einsetzten.
Eine wichtige Aufgabe bestand darin, für den Schutz jener ehemaligen Soldaten zu sorgen, die nach der Kapitulation Zuflucht im Ausland gefunden hatten. Der Bericht heute war aus Nessenberg gekommen.
Er las ihn sorgfältig – Zeile für Zeile, von neuem erbittert über die Einmischung der alten Feinde, die selbst nach über vierzig Jahren immer noch deutsche Patrioten jagten.
Er würde die Unterlagen an eine Adresse in Dublin weiterleiten. Genausowenig wie der Supermarktbesitzer vor ihm konnte er sagen, für wen die Sendung bestimmt war. Er wußte nur, daß es sich um einen großzügigen Geldgeber handelte.
Ein spezieller Bote lieferte den dicken Umschlag bei Kings Haus in Mayfair ab. PERSÖNLICH und VERTRAULICH war in großen Buchstaben darauf vermerkt. Umschläge mit dieser Kennzeichnung durften nur von King persönlich geöffnet werden.
Gloria legte den Brief in eine bestimmte Schublade seines Schreibtisches. Die Nachricht würde warten müssen, bis ihr Vater von seiner jüngsten Reise nach New York zurückkam.
Er besprach seine Geschäfte mit ihr; sie verstand etwas von finanziellen Transaktionen und hatte schon des öfteren einen Ratschlag oder eine gute Idee beisteuern können.
Die vertraulichen Besprechungen mit ihrem Vater bedeuteten ihr sehr viel – nicht zuletzt aus dem Grund, weil ihre Mutter daran nie teilhaben durfte. Sie war einfach zu dumm, dachte Gloria triumphierend. Sie wußte, daß ihr Vater sie eines Tages in den Vorstand seines Konzerns berufen würde. Und sie würde die Herausforderung wie ein Sohn annehmen. Seit ihrer Pubertät hatte sie immer ein Junge sein wollen. Für Weiblichkeit hatte sie nichts übrig; ihr lag nur daran, dem Vater nachzueifern. Entsprechend ihrer eher männlichen Veranlagung fühlte sie sich körperlich zu Frauen hingezogen. In der Schule hatte sie Gefallen an lustvollen Spielereien mit anderen Mädchen gefunden. Da ihr Interesse aber nie sehr ausgeprägt gewesen war, hielten ihre Affären meistens nicht lange. Wenn sie sich überhaupt auf eine Beziehung einließ, ging sie äußerst diskret vor, denn der Vater sollte auf keinen Fall von ihren Neigungen erfahren. Ihre Partnerinnen stammten meistens aus ihrem Freundeskreis und waren in der Regel verheiratet, mit ihren Ehemännern jedoch unzufrieden.
Sie hatte in Oxford Sprachen und Wirtschaft studiert und danach zwei Jahre in Harvard verbracht, wo sie ihr Examen erfolgreich abschloß. Ihre ganze Ausbildung war darauf ausgerichtet, daß sie eines Tages die Nachfolge ihres Vaters antreten könnte. Nach ihrem Studium hatte sie begonnen, als Managerin bei einer amerikanischen Investmentgesellschaft mit Sitz in London zu arbeiten. Sie war enttäuscht, daß ihr Vater sie nicht mit nach New York genommen hatte. Sonst waren sie in letzter Zeit gelegentlich gemeinsam auf Geschäftsreisen gewesen. Diesmal jedoch hatte er ihre Begleitung abgelehnt, da er vertrauliche Treffen mit Bankiers und Börsenmaklern vereinbart hatte, an denen sie nicht teilnehmen sollte und sich deshalb – wie er befürchtete – in New York zu Tode langweilen würde, zumal sie auch für Schaufensterbummel wenig Begeisterung aufbrachte.
»Ich langweile mich nie mit dir«, hatte sie protestiert, ohne ihren Vater umstimmen zu können.
»Diesmal schon, Liebling. Es ist besser so, glaub mir. Ich bringe dir auch etwas ganz Besonderes mit. Von Tiffany. Was hältst du davon?«
»Ich würde lieber mitkommen. Du wirst mir schrecklich fehlen. Zwei ganze Wochen. Ruf mich wenigstens an, ja?«
»Mache ich doch immer«, hatte er entgegnet. Er würde ein außergewöhnliches Geschenk bei Tiffany für sie aussuchen. Seine Frau würde ein genau so teures Mitbringsel erhalten. Er war im Moment sehr zufrieden mit Marilyn. Nach einem Facelifting sah sie besser aus denn je. Außerdem wurde in den Gesellschaftsspalten viel über sie berichtet. Lauter Unsinn natürlich, aber ihre Prominenz würde sich für sein Fernziel, den angestrebten Lordtitel, sicher noch günstig auswirken.
In New York erwartete ihn ein vollgepackter Terminkalender. Er mußte sich die finanzielle Grundlage schaffen, die nötig war, um mit der Attacke gegen William Western zu beginnen.
Es dauerte vier Tage, bis Julias Erkundungsteam auf die gesuchten medizinischen Akten stieß. Sie lagen im Keller des Hammersmith Hospital und enthielten folgende
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