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Die Entmündigung (German Edition)

Die Entmündigung (German Edition)

Titel: Die Entmündigung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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eine solche ist, die auf einen Mißbrauch der moralischen Gewalt deutet, und die man nur mit dem außergewöhnlichen Ausdruck ›Possessio‹ bezeichnen kann...«
    »Donnerwetter!« unterbrach sich Popinot, »was sagst du dazu, Doktor? Das sind ja recht merkwürdige Tatsachen.«
    »Sie könnten«, antwortete Bianchon, »eine Wirkung magnetischer Kräfte sein.«
    »Du glaubst also an die Dummheiten Mesmers, an sein Faß, an die Möglichkeit, durch die Wände zu sehen?«
    »Jawohl, lieber Onkel«, sagte der Doktor ernsthaft. »Als ich Sie die Anklage lesen hörte, dachte ich daran. Ich erkläre Ihnen, daß ich mich bei einer anderen Sachlage von der Richtigkeit analoger Tatsachen in bezug auf die Ausübung unbeschränkter Macht überzeugt habe, die ein Mensch auf einen anderen ausüben kann. Ich bin, im Gegensatz zu der Ansicht meiner Kollegen, vollkommen von der Macht des Willens überzeugt, wenn er als eine bewegende Kraft angesehen wird. Ich habe, bei Ausschluß jeder Taschenspielerei und Scharlatanerie, die Wirkungen solch einer Hypnose mitangesehen. Was der Hypnotisierte dem Magnetiseur während des Schlafes versprochen hat, das ist im wachen Zustande peinlich erfüllt worden. Der Wille des einen ist der des anderen geworden.«
    »Jede Art von Handlung?«
    »Jawohl.«
    »Selbst eine verbrecherische?«
    »Selbst eine verbrecherische.«
    »Einem andern als dir würde ich gar nicht zuhören.«
    »Sie sollen selbst Augenzeuge sein«, sagte Bianchon. »Hm, hm«, bemerkte der Richter. »Angenommen, daß der Grund für diese ›Besessenheit‹ zu dieser Gruppe von Tatsachen gehört, so würde es schwierig sein, ihn festzustellen und vor Gericht zu bringen.«
    »Da diese Dame Jeanrenaud abschreckend häßlich und alt ist, so kann ich nicht einsehen, welches andere Verführungsmittel sie haben könnte,« sagte Bianchon.
    »Im Jahre 1814 aber,« bemerkte der Richter, »zu der Zeit, als sich diese Verführung geltend machte, war die Frau vierzehn Jahre jünger; und wenn sie zehn Jahre vorher Beziehungen zu Herrn d'Espard eingegangen ist, dann führen uns diese Erwägungen um vierundzwanzig Jahre zurück, also in eine Zeit, wo die Dame jung und hübsch sein und auf sehr natürliche Weise zu ihren Gunsten wie zu denen ihres Sohnes eine Macht über Herrn d'Espard ausgeübt haben konnte, der sich manche Männer nicht zu entziehen vermögen. Frau Jeanrenaud wird sich über die Heirat erzürnt haben, die damals zwischen dem Marquis d'Espard und denn Fräulein von Blamont-Chauvoy eingegangen wurde, und es könnte sich im Grunde nur um die Rivalität einer Frau handeln, da ja der Marquis schon seit langer Zeit nicht mehr mit Frau d'Espard zusammenlebt.«
    »Und diese abschreckende Häßlichkeit, lieber Onkel?«
    »Die Macht der Verführung,« entgegnete der Richter, »steht in direktem Verhältnis zur Häßlichkeit, das ist eine alte Frage! Aber fahren wir fort.«
    »Daß seit dem Jahre 1815, um die von den beiden Personen verlangten Beträge zu beschaffen, der Marquis d'Espard mit seinen beiden Kindern in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève eine Wohnung bezogen hat, deren Ärmlichkeit seines Namens und seines Standes unwürdig ist (man kann eine Wohnung nehmen, wie man will!); er unterhält dort seine beiden Kinder, den Grafen Clément d'Espard und den Vicomte Camille d'Espard, unter Lebensbedingungen, die im Mißverhältnis zu ihrer Zukunft, ihrem Namen und ihrem Vermögen stehen; daß häufig der Geldmangel so groß ist, daß kürzlich der Hauseigentümer, ein Herr Mariast, die eingestellten Möbel mit Beschlag belegen ließ; daß, als dieses Vorgehen in seiner Gegenwart geschah, der Marquis d'Espard dem Gerichtsvollzieher geholfen und ihn wie einen Mann von Stande behandelt hat, indem er ihn mit allen Zeichen der Höflichkeit und Aufmerksamkeit überhäuft hat, wie er sie nur für jemanden, der höher an Würde steht als er, haben dürfte...«
    Der Onkel und der Neffe sahen einander an und lachten.
    »Daß im übrigen seine ganze Handlungsweise, abgesehen von den in bezug auf die Witwe Jeanrenaud und den Baron Jeanrenaud, ihren Sohn, von Irrsinn durchtränkt ist; daß er sich seit bald zehn Jahren ausschließlich mit China beschäftigt, mit seinen Gewohnheiten, seinen Sitten, seiner Geschichte, und daß er alles auf chinesische Gebräuche zurückführt; daß er, hierüber befragt, die augenblicklichen Geschehnisse, die Ereignisse von gestern mit den entsprechenden in China verwechselt; daß er die Handlungen des Parlaments

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