Die Entmündigung (German Edition)
Persönlichkeit, zu der sich jetzt der Doktor und der Richter begaben, muß hier gegeben werden, um die Konferenz verständlich zu machen, die Popinot mit ihr abhalten sollte.
Madame d'Espard war seit sieben Jahren sehr in Mode in Paris, wo die Mode Personen, eine nach der andern, in die Höhe bringt und wieder fallen läßt, die, bald große, bald kleine, – das heißt abwechselnd im Vordergrunde oder vergessen –, später unerträgliche Menschen werden, wie es alle in Ungnade gefallenen Minister und alle abgesetzten Majestäten werden. Unbequem durch ihre veralteten Ansprüche, wissen diese Verherrlicher des Alten alles, schimpfen über alles und sind wie ruinierte Verschwender Allerweltsfreunde. Da sie von ihrem Manne im Jahre 1815 verlassen worden war, mußte sich Madame d'Espard zu Beginn des Jahres 1812 verheiratet haben; ihre Kinder mußten also, das eine fünfzehn, das andere dreizehn Jahre alt sein. Durch welchen Zufall war eine Familienmutter von ungefähr dreiunddreißig Jahren in Mode gekommen? Obgleich die Mode launenhaft ist und niemand im voraus ihre Günstlinge zu bezeichnen vermag, sie auch häufig sich für die Frau eines Bankiers oder für irgendeine Person von zweifelhafter Eleganz und Schönheit begeistert, muß es doch ganz ungewöhnlich erscheinen, wenn die Mode verfassungsmäßige Formen annimmt, indem sie eine »Altersvorsitzende« erkürt. Hier hatte die Mode es wie alle Welt gemacht, indem sie Madame d'Espard als junge Frau akzeptierte. Nach dem Standesregister war die Marquise dreiunddreißig Jahre alt und Abends im Salon zweiundzwanzig. Aber welche Sorgfalt und welche Kunstmittel wendete sie an! Kunstvolle Locken verhüllten ihre Schläfen. Sie lebte zu Hause bei gedämpftem Licht, indem sie die Kranke spielte, um in der vorteilhaften Beleuchtung eines von Musselin abgeblendeten Lichts zu bleiben. Wie Diana von Poitiers bevorzugte sie kaltes Wasser für ihr Bad; wie sie, schlief die Marquise auf Roßhaar und auf Kopfkissen von Maroquinleder, um ihr Haar zu schonen, aß wenig, trank nur Wasser, regelte ihre Bewegungen, um sich nicht zu ermüden, und vollzog die geringsten Handlungen mit mönchischer Genauigkeit. Diese harte Lebensweise wurde, wie man sagt, bis zum Gebrauch von Eis statt Wassers und bis zu kalten Speisen von einer berühmten Polin getrieben, die in unsern Tagen ein beinahe hundertjähriges Leben mit dem Verhalten und den Sitten einer kleinen Geliebten ausfüllt. Bestimmt dazu, ebenso lange zu leben wie Marion de Lorme, der die Biographen hundertunddreißig Jahre zubilligen, besitzt die Vizekönigin von Polen, die auch fast hundertjährig ist, jugendlichen Geist und Herz, ein reizendes Gesicht und eine zierliche Figur; sie vermag bei der Unterhaltung Männer und Bücher der modernen Literatur mit Männern und Büchern des achtzehnten Jahrhunderts zu vergleichen. Von Warschau bestellt sie ihre Hauben bei Herbault. Eine vornehme Dame, ist sie hingebend wie ein junges Mädchen; sie schwimmt, sie rennt wie ein Lyzeumsschüler und verlieht es, sich auf ein Sofa ebenso graziös wie eine junge Kokette fallen zu lassen; sie schilt auf den Tod und mokiert sich über das Leben. Sie setzte einstmals den Kaiser Alexander in Erstaunen, und kann heute den Kaiser Nikolaus durch die Üppigkeit ihrer Feste überraschen. Sie läßt noch heute irgend einen verliebten jungen Mann Tränen vergießen, denn sie ist so alt, wie sie sein will. Kurz, sie ist ein wahres Feenmärchen, wenn sie auch nicht die Fee eines Märchen ist. Hatte Madame d'Espard Madame Zayoucek kennengelernt? Wollte sie von neuem ebenso beginnen? Wie dem auch sei, die Marquise bewies die Richtigkeit dieser Lebensweise, ihr Teint war rein, ihre Stirn befaß keine Runzeln, ihr Körper bewahrte, wie der der Geliebten Heinrichs II., seine Geschmeidigkeit, seine Frische, geheime Anziehungskräfte, die die Liebe bei einer Frau herbeiführen und festhalten. Die so einfachen Vorsichtsmaßregeln dieser von der Kunst, von der Natur, vielleicht von der Erfahrung angezeigten Lebensweise hatte sie übrigens in ein allgemeines System gebracht, das sie noch verstärkte. Die Marquise besaß eine ausgesprochene Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht sie selbst betraf; die Männer amüsierten sie, aber keiner von ihnen hatte ihr eine große Erregung verursacht, wie sie zwei Menschen tief bewegen und den einen durch den andern erschöpfen. Sie empfand weder Haß noch Liebe. Beleidigt, rächte sie sich, mit kalter Ruhe abwartend, indem sie
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