Die Entmündigung (German Edition)
auf die Gelegenheit harrte, wo sie ihre bösen Absichten gegen irgend jemanden ausführen konnte, der in ihrer Erinnerung einen üblen Platz hatte. Sie war nicht sehr beweglich und ließ sich von nichts erregen; sie sprach nur, weil sie wußte, daß eine Frau durch zwei Worte drei Männer töten kann. Als Herr d'Espard sie verließ, empfand sie ein besonderes Vergnügen: nahm er nicht die beiden Kinder mit sich, die sie jetzt langweilten und die ihr später bei ihren Ansprüchen schädlich werden konnten? Weder ihre intimsten Freunde noch ihre am wenigsten ausdauernden Anbeter erblickten bei ihr eins dieser Kleinode à la Cornelia, die beim Kommen und Gehen unbewußt das Alter der Mutter verraten; alle hielten sie für eine junge Frau. Die beiden Kinder, um die sich die Marquise in ihrer Klageschrift so zu sorgen schien, waren, ebenso wie ihr Vater, der Gesellschaft so unbekannt wie die Nordostpassage den Seeleuten. Herr d'Espard galt für ein Original, der seine Frau verlassen hatte, ohne gegen sie auch nur den geringsten Grund zur Klage zu haben. Herrin ihrer Person mit zweiundzwanzig Jahren, Herrin ihres Vermögens, das ihr eine Rente von sechsundzwanzigtausend Franken gewährte, zögerte die Marquise lange, bevor sie einen Entschluß faßte, wie sie leben wollte. Obgleich sie von den Ausgaben, die ihr Mann in seinem Hause gemacht hatte, Nutzen hatte, obgleich sie die Möbel, die Equipagen, die Pferde, kurz ein vollkommen ausgestattetes Haus behielt, führte sie doch zuerst ein zurückgezogenes Leben während der Jahre 16, 17 und 18, in der Zeit, wo sich die Familien von den Zusammenbrüchen, die die politischen Stürme verursacht hatten, erholten. Da sie übrigens zu einem der bemerkenswertesten und berühmtesten Häuser des Faubourg Saint-Germain gehörte, rieten ihr ihre Verwandten, nach der erzwungenen Trennung, zu der sie die unerklärliche Laune ihres Mannes genötigt hatte, häuslich zu leben. Im Jahre 1820 schüttelte die Marquise ihre Lethargie ab, erschien bei Hofe, bei den Festen und empfing bei sich; sie hatte ihren Jour, ihre Besuchsstunden; dann nahm sie bald Platz auf dem Throne, auf dem vorher die Frau Vicomtesse de Beauséant, die Herzogin von Langeais, Madame Firmiani geglänzt hatten, die nach ihrer Verheiratung mit Herrn de Camps, auf das Szepter zugunsten der Herzogin von Maufrigneuse verzichtet hatte, der es Madame d'Espard dann entriß. Die Gesellschaft wußte nichts von dem intimen Leben der Marquise d'Espard. Sie schien lange Zeit am Pariser Horizont leben zu sollen, wie eine Sonne, die im Begriff ist, unterzugehen, die aber niemals untergehen will. Die Marquise war eng befreundet mit einer Herzogin, die weniger berühmt durch ihre Schönheit als durch ihre hingebende Liebe zu einem Prinzen war, der damals in Ungnade stand, aber immer bereit war, als Leiter in eine künftige Regierung einzutreten. Madame d'Espard war ferner die Freundin einer Ausländerin, bei der ein berühmter und schlauer russischer Diplomat die politischen Angelegenheiten klarlegte. Endlich hatte eine alte Gräfin, gewöhnt daran, im großen politischen Spiel die Karten zu mischen, sie in mütterlicher Weise adoptiert. Für jeden Mann von großen Gesichtspunkten bereitete sich Madame d'Espard darauf vor, einen verschwiegenen, aber tatsächlichen Einfluß dem offenen und leichtsinnigen, den sie der Mode schuldete, folgen zu lassen. Ihr Salon nahm eine politische Färbung an. Die Worte: »Was sagt man darüber bei Madame d'Espard? Der Salon Madame d'Espards ist gegen eine solche Maßnahme,« begannen von einer ziemlich großen Anzahl von Dummköpfen wiederholt zu werden, so daß sie ihrer Truppe Getreuer die Autorität einer Koterie verliehen. Einige verletzte Politiker, die von ihr getröstet und gestreichelt wurden, wie der Günstling Ludwigs XVIII., dem keine Beachtung mehr geschenkt wurde, und ehemalige Minister, die bald wieder zur Macht kommen sollten, erklärten sie für ebenso erfahren in der Diplomatie wie die Frau des russischen Gesandten in London. Die Marquise hatte mehrfach vor Deputierten oder vor Pairs Worte und Gedanken geäußert, die von der Kammertribüne her in Europa Widerhall gefunden hatten. Sie hatte häufig Ereignisse richtig beurteilt, über die ihre Stammgäste nicht wagten, eine Meinung zu äußern. Die bedeutendsten Hofleute spielten Abends bei ihr Whist. Sie hatte übrigens auch die Vorzüge ihrer Fehler. Sie galt als diskret und war es auch. Ihre Freundschaft hielt jeder Probe stand. Sie
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