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Die Entmündigung (German Edition)

Die Entmündigung (German Edition)

Titel: Die Entmündigung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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erfahren«, fuhr sie fort, »und ich mich für berechtigt halte, nichts weiter zu sagen, will ich Ihnen doch ohne Umschweife antworten, daß meine Stellung in der Welt, daß alle diese Bemühungen, um mir meine Beziehungen zu erhalten, meinem Geschmack nicht entsprechen. Ich habe mein Leben damit begonnen, daß ich es lange Zeit in Einsamkeit verbrachte; aber das Interesse meiner Kinder machte sich geltend, ich habe empfunden, daß ich ihnen den Vater ersetzen müsse. Indem ich meine Freunde empfing, indem ich alle diese Beziehungen pflegte und Schulden machte, habe ich ihre Zukunft gesichert, habe ihnen eine glänzende Karriere vorbereitet, bei der Hilfe und Unterstützung finden werden; und um das zu erreichen, was sie so erhalten haben, würden viel Spekulanten, Richter oder Bankiers gern alles, was sie mich gekostet haben, hergeben.«
    »Ich erkenne Ihre Hingebung an, gnädige Frau«, antwortete der Richter. »Es ehrt Sie, und ich rüge nichts in Ihrem Verhalten. Aber der Richter gehört allen: er muß alles kennen, er muß alles abwägen.« Der Takt der Marquise und ihre Übung, die Menschen zu beurteilen, ließen sie erkennen, daß Herr Popinot durch keine Bedenken beeinflußt werden könne. Sie hatte auf einen ehrgeizigen Richter gerechnet und war auf einen Mann mit reinem Gewissen gestoßen. Sie dachte sogleich an andere Mittel, um ihrer Sache Erfolg zu sichern. Die Diener brachten jetzt den Tee.
    »Hat die gnädige Frau mir noch andere Erklärungen zu geben?« sagte Popinot, als er diese Zurüstungen sah.
    »Tun Sie, was Ihres Amtes ist, mein Herr«, sagte sie hoheitsvoll. »Befragen Sie Herrn d'Espard, und Sie werden mich, dessen bin ich sicher, beklagen ...«
    Sie hob den Kopf und sah Popinot mit einer Mischung von Stolz und Überheblichkeit an; der Biedermann empfahl sich respektvoll.
    »Er ist ja recht nett, dein Onkel«, sagte Rastignac zu Bianchon. »Begreift er denn nichts, weiß er denn nicht, daß er mit der Marquise d'Espard zu tun hat, kennt er denn ihren Einfluß, ihre geheime Macht über die Gesellschaft nicht? Morgen wird sie den Großsiegelbewahrer bei sich sehen ...«
    »Was soll ich dabei tun, mein Lieber,« sagte Bianchon, »habe ich dich nicht gewarnt? Das ist kein bequemer Mann.«
    »Nein,« sagte Rastignac, »das ist ein Mann, der sehr unbequem werden kann.«
    Der Doktor war genötigt, sich bei der Marquise und ihrem stummen Chevalier zu empfehlen und hinter Popinot herzueilen, der nicht der Mann war, in einer peinlichen Situation auszuharren.
    »Diese Frau muß hunderttausend Taler schulden«, sagte der Richter, als er in das Kabriolett seines Neffen stieg.
    »Was denken Sie von der Sache?«
    »Ich bilde mir niemals eine Ansicht, bevor ich alles geprüft habe. Morgen ganz früh werde ich Frau Jeanrenaud auf vier Uhr zu mir in mein Arbeitszimmer vorladen, um Erklärungen von ihr über die Tatsachen, die sie betreffen, zu verlangen; denn sie ist kompromittiert.
    »Ich möchte gern das Ende dieser Sache erfahren.«
    »Aber, mein Gott, siehst du denn nicht, daß die Marquise das Werkzeug dieses großen mageren Mannes ist, der kein Wort gesprochen hat? Er hat etwas von Kain an sich, aber von einem Kain, der beim Gericht nach seiner Keule sucht, wo wir leider nur Damoklesschwerter haben.«
    »Ach, Rastignac!« rief Bianchon aus, »was tust du auf dieser Galeere?«
    »Wir sind daran gewöhnt, solche kleinen Komplotte in den Familien zu beobachten: es vergeht kein Jahr, wo nicht Urteile gefällt werden, die Anträge auf Entmündigung abweisen. Bei unsern Gesellschaftsanschauungen fühlt man sich durch solche Versuche nicht entehrt, während wir einen armen Teufel auf die Galeeren schicken, weil er eine Scheibe zerbrochen hat, die ihn von einem Häufchen Goldstücke trennt. Unser Code ist nicht ohne Fehler.«
    »Aber die Tatsachen des Klageantrags?«
    »Kennst du denn die Gerichtsromane noch nicht, mein Junge, die die Klienten ihren Anwälten aufbinden? Wenn die Anwälte sich dazu verdammt sähen, nur die Wahrheit vorzubringen, würden sie nicht die Zinsen ihrer Einkünfte verdienen.«
    Am andern Tage stieg eine dicke Dame, die einem Faß glich, dem man ein Kleid und einen Gürtel umgetan hatte, um vier Uhr nachmittags schwitzend und schnaufend die Treppe zu dem Richter Popinot hinauf. Sie hatte sich mit großer Mühe aus einem grünen Landauer herausgeschält, der vortrefflich zu ihr paßte: Die Frau war nicht ohne den Landauer und der Landauer nicht ohne die Frau zu denken.

»Ich bin es,

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