Die Entscheidung
kamen, um ihre Ausweise zu kontrollieren. Es war noch nicht lange her, dass sie einfach das Tor geöffnet und sie durchgewinkt hätten – doch mit dem Terroranschlag war vieles anders geworden. Irene Kennedy hatte oft im Weißen Haus zu tun, und sie kam meistens mit demselben Fahrer und Leibwächter – doch das zählte heute nicht mehr. Sie ließ das Fenster herunter und reichte dem Secret-Service-Beamten ihre Papiere. Der Mann sah sie kurz an und gab ihr die Dokumente zurück. Ein dritter Sicherheitsbeamter ging mit einem Sprengstoffsuchhund um den Wagen herum und kontrollierte den Kofferraum. Der ganze Vorgang dauerte nicht einmal eine Minute, ehe das Tor geöffnet wurde.
Der Fahrer hielt bei dem langen Vordach beim Westflügel des Weißen Hauses an. Irene Kennedy dankte den beiden Männern und sagte ihnen, dass sie im Wagen warten sollten. Als sie das Haus betreten hatte, hielt sie die blaue Tasche hoch, in der sich der Bericht für den Präsidenten befand. Der Sicherheitsbeamte, der an seinem Schreibtisch saß, wusste, was das zu bedeuten hatte. Er grüßte Dr. Kennedy und reichte ihr ein Klemmbrett, damit sie sich eintragen konnte. Danach stieg sie die Treppe zu ihrer Linken hinauf, wo am oberen Absatz ein Agent des Sonderkommandos zum Schutz des Präsidenten stand. Das bedeutete, dass sich der Präsident im Westflügel aufhielt. Irene Kennedy blickte kurz auf ihre Uhr; es war 7.12 – er saß also wahrscheinlich gerade beim Frühstück und las die Morgenzeitungen.
Als sie beim Oval Office ankam, blieb sie bei einer der Türen zu ihrer Rechten stehen und hielt die blaue Tasche hoch. Ein hünenhafter Secret-Service-Mann im dunkelgrauen Anzug nickte und ließ sie in das private Esszimmer des Präsidenten eintreten. Irene fand den Präsidenten an seinem gewohnten Platz vor, wo er vier Zeitungen vor sich liegen hatte.
Ein klein gewachsener Mann philippinischer Herkunft, der mit weißer Weste und schwarzer Hose bekleidet war, kam auf sie zu. »Guten Morgen, Dr. Kennedy«, sagte er.
»Guten Morgen, Carl«, antwortete sie, setzte sich dem Präsidenten gegenüber an den runden Eichenholztisch und öffnete die Tasche.
Der Präsident blickte auf. »Guten Morgen Irene«, begrüßte er sie.
»Guten Morgen, Sir.«
»Wie war das Wochenende?«
»Ganz passabel, Sir, und bei Ihnen?« Irene Kennedy zog ein Exemplar des Berichtes heraus und schob es über den Tisch. Sie wusste, dass sie noch ein Weilchen mit dem Smalltalk weitermachen würden, bis Carl draußen war.
»Nicht übel. Camp David ist zu dieser Jahreszeit wirklich ein schönes Plätzchen.« Hayes las die Überschriften auf der ersten Seite des Berichts – und dabei fiel ihm auf, dass es größtenteils um die gleichen Themen ging wie auf der Titelseite der Washington Post. Er wusste, dass der Inhalt eine ganz andere Geschichte war.
Carl trat zu Irene Kennedy und stellte eine Tasse schwarzen Kaffee und ein Heidelbeermuffin vor ihr auf den Tisch. »Die Muffins sind heute wirklich gut.«
Irene Kennedy lächelte. »Danke, Carl.« Der Mann bemühte sich immer wieder, sie zum Essen zu überreden.
»Mr. President, die Kanne auf dem Tisch ist voll. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich bitte.«
»Danke, Carl.« Präsident Hayes war ein starker Kaffeetrinker. Acht bis zehn Tassen am Tag waren für ihn durchaus üblich. Wenn jemand seinen Kaffeekonsum kritisierte, wies er gern darauf hin, dass Dwight D. Eisenhower schon in seiner Zeit als Oberbefehlshaber der Alliierten über zwanzig Tassen am Tag getrunken und dazu vier Päckchen filterlose Zigaretten geraucht hatte. Danach brachte der Mann noch zwei Amtszeiten als Präsident hinter sich und wurde siebenundneunzig Jahre alt. Hayes erzählte allen, die sich übertriebene Sorgen machten, immer wieder gern Eisenhowers Lebensgeschichte. Seine Frau antwortete dann zumeist: »Ja, aber du bist nicht Dwight D. Eisenhower.« Oft erzählte Hayes die Geschichte nur, um diesen Satz von seiner Frau zu hören. Hayes war selbst der Erste, der zugab, dass er kein Dwight D. Eisenhower war. Solchen Maßstäben wurden nur sehr wenige Menschen gerecht. Hayes war zwar Demokrat – doch je länger er im Oval Office amtierte, desto größer wurde seine Sympathie für den Republikaner Eisenhower. Wenn Hayes den besten US-Präsidenten aller Zeiten hätte küren müssen, so wäre Eisenhower ganz bestimmt ein aussichtsreicher Kandidat gewesen. Alle nannten in einem solchen Zusammenhang Washington, Lincoln und Franklin Delano Roosevelt
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