Die Entscheidung
auf der von Sergej abgewandten Seite lag. Im nächsten Moment schnitt die Klinge tiefer, doch bevor der Russe sein blutiges Werk beenden konnte, hielt Enzo eine 9-Millimeter Beretta Nano in der Hand und leerte das Magazin in Sergejs pockennarbiges Grinsen. Wäre der Russe nicht so ungeduldig gewesen, hätte er ebenfalls eine Pistole gehabt, doch wie immer hatte er es nicht abwarten können, seinen Blutdurst zu stillen. Klarer Fall von vorzeitiger Ejakulation, eh?
Später konnte er sich nicht erinnern, wie viel Zeit er in dem verdammten Waschraum verbracht hatte, nur, dass der Sog irgendwann so schnell verschwand, wie er gekommen war – als hätte jemand ein Schott geschlossen. Danach galt sein einziger Gedanke Nella, und dass sie allein da draußen war. Und an Marcel, dem er bei vollem Bewusstsein die Leber rausreißen und an Nellas Köter verfüttern würde.
Nachdem er sich abgeschnallt hatte, verließ er fluchend den Waschraum, und lud im Laufschritt die Beretta nach. Draußen begegneten ihm vereinzelt seine Leute, die ihren Kameraden halfen, doch die meisten Jungs gehörten zu Marcels Team.
Auf dem Gleis bot sich ihm ein seltsamer Anblick. Diese Camille hockte mit verquollenem Gesicht auf dem Boden und hielt Blanches jungen Freund im Arm, den er in der Kathedrale kennengelernt hatte. Wie es aussah, war er nicht bei Bewusstsein. Ramirez kniete neben ihm und setzte zu einer Herzmassage an.
Was Enzos Blick jedoch fesselte, war Blanche, die einen Typen in schwarzer Kluft anstarrte, der mit dem Rücken zu ihm stand. Einen Augenblick später wurde er von Nellas Töle angegriffen. Enzos Blick wanderte über den Bahnhof. Wenn der Hund hier war, musste seine Herrin ebenfalls in der Nähe sein. Als er sie auf dem Gleis entdeckte, konnte er zum ersten Mal nach gefühlten Stunden wieder frei atmen. Nella war hier. Sie lebte und war an einem Stück.
Sein Mund klappte auf, als er sah, wie sie eine Waffe zog, und dem Kerl zielsicher die Birne wegballerte. Der hielt plötzlich eine 9-Millimeter in der Hand, vermutlich, um den Hund loszuwerden, der wie eine sabbernde Bärenfalle an seinem Bauch hing.
Ein Teil von ihm war stolz auf sein Mädchen. Sie hatte sich in kurzer Zeit von einem verängstigten Mäuschen in eine starke Frau gemausert, noch dazu eine mit sicherer Schusshand. Ernesto hatte nicht übertrieben, sie besaß tatsächlich Talent an der Waffe. Der andere Teil war entsetzt, wie schnell sie sich in seiner Welt zurechtfand, die aus Blut, Schweiß und Tränen bestand.
Was war aus dem unschuldigen Mädchen geworden, der regazza , in die er sich auf den ersten Blick verliebt hatte? Innerlich schüttelte er den Kopf. Sie war nie unschuldig gewesen, nicht nach den Jahren auf der Straße. Dennoch war sie im Kern ein Kind geblieben, mit einer Reinheit, die ihn bis ins Mark berührte. Auch wenn er es nie offen zugeben würde, so hoffte er inständig, dass er sie nicht für immer verdorben hatte.
Als der Typ seitlich wegkippte, trat ein schwarz gekleideter Priester hinzu. Enzo kannte ihn, sein Name fing mit einem A an. Alex? Richtig. Das war der Pfaffe, der mit ihm über den Wiederaufbau des Heims gefeilscht hatte. In jedem Fall übergoss er das, was von dem Kerl übrig war mit … Weihwasser?
Er erinnerte sich noch gut an das Amulett, mit dem er den Dämon namens Arziel in seinem Arbeitszimmer erledigt hatte. Das musste eine gängige Methode sein, diese Biester loszuwerden, anders konnte er sich nicht erklären, dass sich der Tote vor seinen Augen in eine blubbernde Pfütze verwandelte, die nach Teer stank. Doch um ehrlich zu sein, war ihm der Kerl egal.
Bevor Nella die qualmende Waffe fallen ließ, war er bei ihr, drückte sie an sich, bis ihre zierliche Gestalt in seiner Umarmung verschwand. Sie bebte am ganzen Körper, und er fühlte ihre Tränen an seinem Hals. Dann flüsterte sie seinen Namen, drückte ihn an sich und weinte stumm an seiner Schulter.
Alles würde gut werden. Leise flüsterte er ihr diese Worte zu, und er wusste, dass sie der Wahrheit entsprachen. Jetzt, da er sie wiederhatte, würde alles gut werden, daran bestand kein Zweifel. Er würde sie mit allem beschützen, was ihm zur Verfügung stand, selbst mit seinem Leben.
*
Blanche blinzelte. Alles ging so schnell, dass sie keinen Schimmer hatte, wie sie zurück an die Oberfläche gekommen war. In einem Moment hatten sie und Saetan einen kleinen Plausch, im nächsten dachte sie an Beliar, dann schoss Licht durch ihre Hände, die Augen,
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