Die Entscheidung
durcheinander. Irgendjemand schrie, und nach einer weiteren Sekunde erkannte Jenny ihre eigene Stimme. Da Dees Beine sich an der Fischteichbude verhakt hatten und Michael und Audrey sie festhielten, hatte sie kaum Bewegungsfreiheit, um gegen das Wesen zu treten. Verzweifelt fummelte sie an dem Messer an ihrem Gürtel herum.
Gerade als sie es aus der Scheide bekam und den Arm hochriss, zog Michael sie von der Bude weg – Dee verlor das Gleichgewicht, und das gefährlich lange Flussmesser landete im Strudel des Wassers.
»Ihre Jacke! Ihre Jacke! Ihre Jacke!«, brüllte Michael. Das kopflose Ding hatte Dee jetzt am Kragen gepackt. Michael versuchte, Dee aus der Jacke zu ziehen, aber die Knöpfe ließen sich nicht öffnen.
Jenny wollte dieses Wesen auf keinen Fall noch einmal mit bloßen Händen berühren. Aber dann drückte es Dees Kopf erneut fast unter Wasser, und Jenny packte panisch seinen gummiartigen Arm. Es beugte sich gerade über Dee in den Kanal, sodass Jenny direkt in seinen Halsstumpf hineinstarren konnte – was auch nicht schlimmer war als der Rest des Körpers. Das Fleisch, das sie durch die Lumpen der Kleider erblickte, war einfach grotesk – aufgebläht und angeschwollen, bis es aussah wie eine Kewpie-Puppe, die gekocht und dann mit einer Fahrradpumpe aufgepumpt worden war.
Die Schreie dauerten immer noch an. Sosehr sie alle auch zerrten, es nutzte nichts. Ohne zu überlegen, kletterte Jenny über die Wand der Bude. Dazu musste sie erst über den Kanal; ein Bein baumelte in das rauschende Wasser, dann stand sie in der Bude hinter dem kopflosen Ding.
»Zieh, Michael! Zieh!« Jenny packte das Ding von hinten und schloss die Arme um seine Taille. Die Taille zermatschte wie ein überreifer Pfirsich. Dennoch zog Jenny so fest sie konnte daran, die Wange gegen das nasse Lumpenhemd des Wesens gepresst.
Oh Gott – dieser Gestank. Sie öffnete den Mund, um Michael erneut etwas zuzurufen, aber stattdessen würgte sie nur. Sie konnte nicht sehen, was vor sich ging. Sie konnte das Ding nur festhalten und daran zerren.
Doch es schien geradezu im Wasser verwurzelt zu sein
und bewegte sich keinen Millimeter. Es war ein geisterhaftes Tauziehen – Jenny riss an dem kopflosen Körper, Michael und Audrey rissen an Dee. Aber plötzlich spürte sie, wie etwas nachgab. Der Körper schlingerte rückwärts. Und Dee war frei.
Jenny ließ los und taumelte gegen die Budenwand mit den Preisen hinter ihr. Die Arme des Dings ruderten für einen Moment in der Luft. Dann verschwand es in dem dunklen Wasser, als hätte etwas seine Füße gepackt und mit voller Kraft nach unten gezerrt.
Alles war wieder still.
Jenny saß in einem Durcheinander von Plastikpfeifen, Zellophan-Blütenketten, Matchbox-Autos und ausgestopften Koalabären. Sie rappelte sich hoch, taumelte und schaute über den Ringkanal.
Dee lag fast auf Michaels Schoß. Audrey war neben ihnen, halb kniend, halb hockend. Alle waren außer Atem.
Dee blickte als Erste auf. »Spring schnell rüber«, rief sie mit einer Stimme, die vom Schreien ganz rau war. »Ich glaube nicht, dass es sehen kann, aber es kann fühlen, wenn du das Wasser berührst.«
Jenny sprang so schnell sie konnte über den Kanal und bemerkte erst jetzt, dass sie sich den Knöchel verletzt hatte. Für eine Weile saßen sie alle vier einfach nur da. Sie waren zu erschöpft und zu benommen, um zu reden.
»Was auch immer es war, es war nicht menschlich«,
stellte Audrey schließlich fest. »Ganz abgesehen von dem Kopf – so könnte ein menschlicher Körper nie aussehen.«
»Leichenlipid«, bemerkte Michael. »Wenn menschliches Fleisch eine gewisse Zeit unter Wasser ist, setzt die Verseifung ein. Mein Dad hatte mal so eine Glibbermaske – er hat sie weggeworfen, weil sie mir panische Angst machte.« Michaels Vater schrieb Science-Fiction-Storys und hatte eine ganze Sammlung von Masken und Kostümen.
»Dann war das alles deine Schuld«, sagte Dee unfreundlich, die Stimme noch immer heiser. »Dein Albtraum.«
Michael wirkte überraschend hoffnungsvoll. »Denkst du? Dann brauche ich mir vielleicht keine Sorgen mehr zu machen. Vielleicht ist das Schlimmste vorbei – für mich.«
»Die Maske deines Vaters war aber nicht kopflos, oder?«, fragte Jenny.
»Was? Nein. Wie meinst du das?« Michael sah sie verwirrt an.
»Ich meine, dieses Monster war nicht genau wie das, das in deinen Albträumen vorkam. Ich glaube, diesmal gibt Julian den Dingen seine ganz persönliche Note.
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