Die Entscheidung der Hebamme
Liebschaft nicht in Frage kam. Gütiger Gott, er war siebzehn und träumte jede Nacht von nackten Brüsten, schlanken Frauenleibern und leidenschaftlichen Küssen! Manchmal hielt er es kaum noch aus und war froh, wenn er abends völlig erledigt nach den harten Waffenübungen auf sein Bett fiel.
Er war sich sicher, dass ihm die hübsche Marie gern einen Kuss oder auch mehr geschenkt hätte. Aber mit ihrem Stiefvater konnte er es sich nicht verderben. Außerdem hätte er damit in Christians Augen seine Ehre verloren – und die bedeutete ihm zu viel. Also sandte er Marie nur einen wehmütigen Blick, bevor er den anderen folgte, während sie ihm unglücklich nachsah.
Es kümmerte Christian nicht, dass er schon wieder durchnässt wurde, als er seinem Freund mit langen Schritten quer über den Burghof entgegenlief.
»Es tut gut, dich zu sehen«, meinte er, während er den Gleichaltrigen umarmte und ihm dabei auf den Rücken klopfte.
»Freu dich nicht zu früh«, entgegnete Raimund orakelhaft. »Ich bringe keine guten Nachrichten.«
»Stehen wir im Krieg?«
Raimund nickte, düster dreinblickend. »Morgen will Otto dich auf dem Burgberg sehen. Dich und seinen Sohn.«
Christians Gesicht ließ keine Regung erkennen, auch Lukas nahm diese Mitteilung wortlos entgegen. Sie kam für niemanden unerwartet.
Marthe war noch zu weit entfernt gewesen, um Raimunds Worte zu hören, doch an den Gesichtern der Männer erkannte sie, dass ihre Befürchtungen wahr geworden waren. Sie biss sich auf die Fingerknöchel, um nicht laut aufzuschreien. Dann fasste sie sich, ging Raimund entgegen und begrüßte ihn, so herzlich sie es noch vermochte. Sie hatten alle gewusst, dass es so kommen würde. Doch sie konnte nicht verhindern, dass die Angst um Christian ihr Herz wie eine eisige Faust zusammenpresste.
Raimund folgte ihnen ins Haus, während der Regen aus seinen dunkelbraunen Locken und vom grünen Bliaut tropfte. Die Aussicht auf einen Platz am Feuer und eine reichliche Mahlzeit unter Freunden besserte seine Laune zusehends.
»Soll ich dir ein Bad bereiten lassen?«, bot Marthe an.
»Später. Lass mich nur am Feuer stehen, damit die Sachen trocknen. Es gibt eine Menge zu berichten.«
»Nichts da«, widersprach Marthe energisch. »Erst ziehst du die triefend nassen Kleider aus. Ich will dich nicht noch einmal vor dem Fiebertod retten müssen. Das war damals Arbeit genug!«
Sie lächelten beide wehmütig bei der Erinnerung an jene schweren Tage, seit denen Marthe auch mit Raimunds Frau Elisabeth befreundet war.
»Du solltest mich nicht so verzärteln«, meinte Raimund. »Die nächsten Wochen und Monate bringe ich schätzungsweise sowieso in Kälte und Regen bei der Belagerung irgendeiner Burg zu.«
»Umso wichtiger, dass du nicht schon krank hinreitest«, entgegnete Marthe, während sie in einer Truhe kramte, froh, dass niemand dabei ihr Gesicht sehen konnte. Es schickte sich nicht für die Frau eines Ritters, Angst zu zeigen oder gar zu weinen, wenn der Ehemann in den Krieg musste. Sie drückte Raimund trockene Kleider in die Hand und lief nach unten, um Bescheid zu sagen, dass das Essen für den Burgvogt und ihren Gast in die Kammer gebracht werden sollte.
»Früher hat sie einen nicht so kommandiert«, spöttelte Raimund.
»Von wegen! Wenn jemand krank war oder krank zu werden drohte, vergaß sie doch schon immer jede Schüchternheit«, erinnerte Christian.
Raimund war noch halbnackt, als es klopfte und Mechthild eine große Schüssel mit heißer Suppe hereintrug. Darüber lag ein Brett mit dicken hellen Brotscheiben, die noch vor Wärme dampften und verführerisch dufteten. Die Köchin bemühte sich krampfhaft, nicht auf den bloßen Oberkörper des Gastes zu starren, und verließ die Kammer hastig wieder mit der Ankündigung, gleich noch Bier zu bringen.
»Es riecht herrlich«, meinte Raimund, während er ein frisches Obergewand überstreifte. »Aber Suppe statt Braten? Man sollte meinen, ein Burgvogt lebt üppiger. Du hast die Zeit als armer Ritter ohne Lehen also noch immer nicht so recht hinter dir gelassen! Oder gewöhnst du dich schon an Kriegsrationen?«
»Die fallen bestimmt nicht so köstlich aus. Es ist Freitag, mein Freund«, erinnerte ihn Christian tadelnd.
»Tatsächlich?« Verblüfft starrte Raimund ihn an und überlegte fieberhaft, ob er unterwegs irgendeine Fastenregel gebrochen hatte. »Auf Reisen komme ich jedes Mal durcheinander …«
Marthe, Lukas und Dietrich setzten sich zu ihnen, Christian
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