Die Entscheidung liegt bei dir!
Entschiedenheit in Ihnen selbst leuchtet, dann strahlt sie auch nach außen. Wer seine Wahlentscheidung nicht voll anerkennt, wer seine Verantwortung nicht |86| annimmt, der hat auch keine Hände, um zu geben. Seine Werke bleiben Opfergaben, die uns schuldig machen.
Dennoch klingt »Verantwortung übernehmen« in vielen Ohren wie eine beschwerliche Bürde. »Das jetzt auch noch!«, mag mancher denken. »Jetzt trage ich neben meinen alltäglichen Sorgen auch noch die Verantwortung dafür. Jetzt soll ich plötzlich auch noch schuld sein!« In Wirklichkeit befreit es. Es ist die Freiheit, die Sie sich selbst geben. Es stellt das Zusammenleben auf eine klare Grundlage, die sich nicht moralisch kostümiert, insgeheim aber auf Ausbeutung hinausläuft. Es befreit von heimlichen Erwartungen. Und es ermöglicht einen unverbrauchten Blick auf unsere Vorurteile, die scheinbar selbstverständlichen Normen und Werte, die andere für uns verbindlich erklären wollen, die wir aber ablehnen können, wenn sie uns nicht gefallen. Selbstverantwortung macht frei. Aber auch frei, sie anzuerkennen.
|87| Grenzen der Freiheit
Der Zwang zur Freiheit
Gegenrede: »Ist das alles nicht ein bisschen zu sehr schwarzweiß gemalt? Gibt es nicht auch Grautöne?« Ich weiß, dass viele Menschen den Eindruck haben, kaum zwischen Chancen wählen zu können, sondern nur zwischen zwei Übeln. Zwischen Pest und Cholera. Wenn sie auch meistens mehrere Optionen haben – in fast keiner Frage sind die Antworten eindeutig, immer gibt es gute Gründe pro und kontra. Tatsache aber ist, dass wir nur eines nicht wählen können – das Wählen. Man kann nicht
nicht
wählen. Auch wenn Sie sich nicht entscheiden, haben Sie sich entschieden: für die Unentschiedenheit.
Zwar fühlen Sie sich dann durch die Hängepartien belastet, Sie spüren das Unerledigte und Sie haben die Hände nicht frei, können sich nicht frei bewegen, müssen ständig Rücksicht nehmen, auf die sozialen Tretminen aufpassen, die Empfindlichkeiten meiden. Zwar sind Sie umstellt von unklaren, diffusen Beziehungen und Verhältnissen – aber irgendwelche Vorteile werden Sie aus dieser Entscheidung ziehen, sonst hätten Sie sich nicht so entschieden. Und diese Vorteile erscheinen Ihnen wichtiger, angenehmer, leichter als die Klarheit des Beginnens und Beendens. Das ist Ihre Wahl.
|88| Das Wählen ist unhintergehbar. Das hat der Philosoph Jean-Paul Sartre den »Zwang zur Freiheit« genannt. Wenn Sie beispielsweise die Aussage »Die Entscheidung liegt bei dir!« – aus welchen Gründen auch immer – ablehnen, dann haben Sie sich dafür entschieden. Wenn Sie die Aussage »Ihr Handeln ist frei gewählt« ablehnen, dann haben Sie auch das – so paradox es klingt – frei gewählt.
Auch wenn Sie ganz verspannt sind im Wenn und Aber, auch wenn Sie ganz verwirrt sind, weil so viele Möglichkeiten zur Wahl stehen, auch wenn Sie sich gar nicht entscheiden können (weil alles so schön bunt ist): Das eigentliche Problem ist die Weigerung, Verantwortung auch für die Konsequenzen der Unentschiedenheit zu übernehmen. Das schwächt mehr als mangelnde Entschlussfreudigkeit.
Wir wählen immer, ob wir uns nun dessen bewusst sind oder nicht. Aber das
bewusste
Wählen ist es gerade, das der Wahl die Würde gibt. Echte Verantwortung erwächst also aus einer
bewussten
Wahlentscheidung. Wie der Weise sagt:
Wähle, was du tust,
dann tust du immer,
was du gewählt hast.
Wenn Sie sich als Opfer der Umstände erleben, machen Sie andere verantwortlich, leben Sie nicht selbstbestimmt. Dann hat das Jammern kein Ende. Dann zahlen Sie den höchsten Preis, den Sie in diesem Leben zahlen können: den Verlust Ihrer Selbstachtung. Sich seiner Wahlfreiheit bewusst sein heißt: sich bewusst sein, dass Sie alles, was ist, gewählt haben.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Worte von Heidrun G., einer Einzelhandelskauffrau, die das katastrophale Betriebsklima in einer Drogeriemarktkette beklagte. Sie selbst |89| war seit Jahren Angestellte dieses Unternehmens und hatte wirklich detaillierte Erfahrungen. Ihre Tirade gipfelte in dem Satz: »Freiwillig würde da niemand hingehen!« Und Heidrun G.? Ging sie nicht jeden Morgen freiwillig zur Arbeit? Hatte sie sich nicht entschieden, diesen Job anzunehmen, weil sie die Miete bezahlen, das Haushaltsgeld aufbessern, den Ansprüchen ihrer Kinder genügen wollte? Ist es nicht ihr freier Wille, Bedürfnisse befriedigen, Ziele erreichen, Träume verwirklichen zu wollen? Wenn sie
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