Die Entscheidung
war es leid, sich von ihm provozieren zu lassen. Insofern verbrachte sie viel Zeit mit Einar, der sie weiter mit dem Dorf vertraut machte und auf alle Fragen eine Antwort zu haben schien. Er zeigte ihr die Werkstatt von Haldor, in der er alle Werkzeuge anfertigte, die man benötigte, um Häuser zu bauen. Er zeigte ihr die Schule für die Kinder und Jugendlichen, wo sie sich mit den Lehrern unterhalten konnte, die alle Englisch sprachen. Denn obwohl das Dorf sich von der Außenwelt abzuschotten schien, war es den Outlaws wichtig, ihre Kinder auf die Wanderschaften vorzubereiten. Und die Beherrschung von mindestens einer Fremdsprache gehörte nun einmal dazu.
Einar stellte Laney auch viele andere Leute des Dorfes vor und machte sie mit ihren Sitten und Gebräuchen bekannt. Die Outlaws machten anscheinend alles selber. Sie schoren die Schafe, spannen das Garn, webten, nähten und strickten ihre eigene Kleidung. Luxusartikel wie Fernseher oder Computer fehlten in der Siedlung fast völlig. Nur das Labor und die Schule waren mit solcherlei Dingen ausgestattet. Und auch da nur aus der Notwendigkeit heraus. Es wirkte tatsächlich, als hätten die Outlaws beschlossen, dass der Fortschritt ihnen nur Ärger einbringen würde.
Doch das Außergewöhnlichste, was sie von Einar gezeigt bekam, war das Nordlicht. Um es richtig zu sehen, war es notwendig, dass sie einen der vielen Felsen im Tal hinaufkletterten. Aber von dort aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf dieses außergewöhnliche Schauspiel. Laney hatte so etwas noch nie gesehen. Es war, als würden bunte Lichter am Horizont aufleuchten und umhertanzen. Ein Wunder der Natur.
„Es ist wirklich wunderschön“, stellte Laney fest. „Ich könnte stundenlang hierbleiben, wenn es nur nicht so verdammt kalt wäre.“
Einar lachte auf und half Laney, den Felsen wieder hinunterzusteigen.
„Und dabei ist es im Tal gar nicht mal so kalt wie auf den Bergen“, sagte er amüsiert. „Wir liegen hier an den Ausläufern eines aktiven Vulkans und das wärmt das Tal. Andernfalls wäre es für uns gar nicht mehr möglich hier zu leben.“
Erstaunt blickte Laney ihn an und lief neben ihm her zurück zum Dorf.
„Ist das nicht viel zu gefährlich?“
Gleichgültig zuckte Einar mit den Schultern.
„Eigentlich nicht. Abgesehen von Johanna haben wir noch zwei weitere Vampire mit Visionen in unserem Dorf. Wenn der Vulkan vorhaben sollte richtig auszubrechen, dann würde einer von ihnen das bestimmt vorher erahnen. Vor ein paar hundert Jahren ist das sogar einmal passiert.“
„Und?“
„Nun. Der Überlieferung nach wurde niemand verletzt.“
Laney nickte. Aussagen wie diese erinnerten sie immer wieder daran, dass die Outlaws nicht mehrere hundert Jahre lebten, so wie die Warmblüter ihrer eigenen Familie. Doreen war sicher zehn Mal so alt wie Johanna und Akima war noch mal sehr viel älter. Die Outlaws waren in diesem Aspekt eher wie Menschen.
Am Tiergehege blieben sie stehen und Einar setzte Laney eines der Lämmer auf den Schoß. Sie fand diese kleinen Tierchen absolut herrlich.
„Was ist eigentlich mit deinem Vater?“, fragte Laney neugierig, während sie das Lämmchen streichelte.
„Was soll schon mit ihm sein?“, gab Einar zurück. „Er ist damals auf Reisen gegangen, genau wie meine Mutter. Aber im Gegensatz zu ihr ist er nie wieder zurückgekommen.“
„Ihr nimmst du das übel. Ihm aber scheinbar nicht. Warum?“
Einar betrachtete Laney eine Weile eingehend, bevor er beschloss, dass sie die Frage nur aus Unwissenheit gestellt hatte und nicht weil sie ihn provozieren wollte.
„Nun. Das kannst du wahrscheinlich noch nicht wissen. Aber wir leben hier nicht in klassischen Familienverbänden, so wie die Menschen.“
Laney nickte langsam. Ihr war bereits aufgefallen, dass es erstaunlich viele alleinerziehende Mütter beziehungsweise Großmütter gab. Sie hatte allerdings vermutet, dass das daran lag, dass die Männer einfach nicht wiederkamen von ihren Wanderungen.
„Genauer gesagt“, fuhr Einar fort. „Bei uns gibt es die Institution Ehe nicht.“
„Wie bitte?“
Völlig konsterniert sah Laney ihn an.
„Du hast schon richtig verstanden. Wir heiraten nicht.“
„Aber … warum denn nicht?“
„Weil wir der Meinung sind, dass keine Beziehung ein ganzes Leben halten kann. Daher sind wir Männer niemals einer bestimmten Frau verpflichtet, sondern nur der Gemeinschaft. Wenn wir hier leben, dann versorgen wir nicht eine bestimmte Familie, sondern
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