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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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empfingen wir die Nachricht, daß auch Bruno Frank unterdessen einen schweren Herzanfall erlitten hatte und noch das Bett hütete. Die »heart attack«, als Coronartrombose oder Angina pectoris, ist die meistgenannte amerikanische Krankheit und Todesursache, aber besonders zugänglich, was kaum zu verwundern, schien das Emigrantentum ihr zu sein. Unter herzasthmatischen Beschwerden litten gleichzeitig auch Schönberg und Döblin, dem ich an seinem Garten-Krankenlager einen Besuch machte, und nicht lange, so wäre Martin Gumpert fast einer gefährlichen Anwandlung zum Opfer gefallen. Einer nach dem anderen hatte, bedingt zum Leben begnadigt, die Zigarette abzuschwören. »Man muß sich noch prächtig vorkommen«, heißt es im Tagebuch. Dabei war ich selbst recht elend. Unter dem bösen Einfluß der Chicagoer Eiswinde hatte ein Katarrh sich eingetieft, der, als Schnupfen, Bronchitis, Nebenhöhlenaffektion, Krankheitsgefühl bewirkte und nach ärztlicher Aufsicht verlangte. Ich war zu Ostern bei Husten-Medizin und Nasen-Rachen-Desinfektion ans Schlafzimmer gebunden, drängte aber gleich wieder vorwärts in dem Roman, schloß Mitte April das XIV. Kapitel und begann sofort das nächste, das ich, mit Luthers Briefen und Grimmelshausens
Simplicissimus
als begleitender Lektüre, in zehn Tagen bewerkstelligte. Es bringt den Briefwechsel zwischen Adrian und Kretzschmar und, in Adrians Schreiben, die {465} undeklarierte Nachbildung des dritten
Meistersinger
-Vorspiels, an der ich Freude hatte.
    Damals nahmen die Russen Odessa, und »der Feind vermochte unsere Ablösungsoperationen nicht zu stören«. Statt dessen wandte er sich gegen Sebastopol, das nun an der Reihe war. Kolossale Luftangriffe auf die »Festung Europa«, die zum guten Teil ein Gebilde der deutschen Propaganda war, wurden fast täglich gemeldet. Die Explosionen an der Invasionsküste ließen die Häuser in England erzittern. General Perkins sprach aus, die kommende Landung solle die deutschen Truppen im Westen fesseln und den Russen für ihre Offensive freie Hand geben. Sie zuerst sollten Berlin erreichen. Übrigens war die Landung technisch kaum vorstellbar, und die Opfer an Mannschaft, die sie kosten werde, wurden auf eine halbe Million geschätzt.
    Die Deutschen waren in Ungarn einmarschiert, als schriebe man 1939, und verstärkten ihren Terror in Dänemark. Dabei waren die Anzeichen ihres Verzagens am Siege unverkennbar, und die Reden der Goebbels und Göring zu Hitlers Geburtstag hatten den Klang eines zersprungenen Tellers. Das »Schwarze Korps«, mir von jeher besonders zuwider durch eine gewisse literarische Fertigkeit und Schmissigkeit, brachte einen Hohn-Artikel über die mögliche Auferstehung der Weimarer Republik, die Rückkehr von Brüning, Greszinsky, Einstein, Weiß und – mir. Ich schwor mir, daß man mich nicht zu sehen bekommen werde.
    Erika las uns aus ihrem liebenswürdigen Erinnerungsbuch
Alien Homeland
und weckte viele genaue Erinnerungen an 1933 wieder auf. Sie polemisierte, zu Recht für mein Gefühl, im »Aufbau« gegen den Emigrationspatriotismus der Leute vom »Democratic Germany«, der Deutschland schon wieder »frei« und groß wollte, gegen Gebietsverluste, ja gegen die Wieder {466} abtrennung Österreichs protestierte, und – dies der Grund meiner Ablehnung – wissentlich oder unwissentlich gemeinsame Sache machte mit einem überall lebendigen sinistren Pro-Deutschtum, das besser Pro-Fascismus zu nennen gewesen wäre. Kennzeichnend dafür war ein Brief, den ich damals empfing, und worin der Schreiber, ein Professor of Literature im Staate Ohio, mich mit Vorwürfen wegen meiner
Schuld am Kriege
überschüttete. »Angreifend für das Herz«, schrieb ich, »ist auch das Närrischste.«
    Der Umgang mit Stravinsky und seiner Frau, belle Russe ganz und gar, das heißt: von jener spezifisch russischen Schönheit, in der das menschlich Sympathische zur Vollendung kommt, hatte erwünschte Lebhaftigkeit gewonnen, und ein Gespräch mit ihm, gelegentlich einer Abendgesellschaft bei uns, ist mir merkwürdig geblieben, worin er sich, von Gide ausgehend, im Ausdruck zwischen deutsch, englisch und französisch wechselnd, über die
Confession
als Produkt der verschiedenen Kultursphären, der griechisch-orthodoxen, lateinisch-katholischen und protestantischen, erging. Nach seiner Meinung war Tolstoi wesentlich deutsch und protestantisch. – Ich weiß nicht mehr, von wem ich zu jener Zeit auf Voltaires
Mahomed
aufmerksam gemacht wurde, den

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