Die Erben der Nacht 04 Dracas
an die Tür. Etwas unwillig rief Baronesse Antonia sie herein. Ivy wartete, bis die Tür wieder geschlossen war, ehe sie heranhuschte und ihren Lauschposten einnahm.
»Marie Luise? Was willst du hier? Dein Platz ist bei unseren Gästen. Haben wir euch nicht deutlich gemacht, dass ihr den fremden
Erben vor Augen führen müsst, wie sich wirkliche Damen und Herren der besten Gesellschaft unter ihresgleichen bewegen?«
»Ja, Baronesse Antonia, ich werde sogleich wieder meinen Pflichten nachkommen, doch zuerst muss ich mit Euch sprechen, denn ich habe etwas herausgefunden, das von größter Wichtigkeit ist.«
»Und das hat nicht Zeit bis Morgen?«
»Nein! Dieser widerliche Betrug sollte keine Minute länger währen. Er ist eine Beleidigung für jeden Dracas und eine Schande für alle Clans.«
»Diese Theatralik steht dir nicht. Glaubst du, wir benötigen die Spionagedienste einer Fünfzehnjährigen? Wenn du das denkst, beleidigst du Baron Maximilian und auch mich! Ich kann mir nicht vorstellen, dass du etwas weißt, was mir nicht bereits bekannt wäre. Es wäre besser für dich, wenn du dich nicht um Dinge kümmerst, die dich nichts angehen!«
»Verzeiht, Baronesse, dass ich so dreist bin, Euch zu widersprechen, doch wenn Ihr davon Kenntnis hättet, wäre der Betrug schon lange beendet worden.«
»Es reicht jetzt!« Der Tonfall der Baronesse hätte Glas schneiden können.
»Gut, wenn Ihr nichts davon hören wollt, dann wende ich mich an Baron Maximilian. Vielleicht ist er an meiner Geschichte interessiert.« Das war der beleidigte Klang, den die Erben von Marie Luise so gut kannten.
»Setz dich!«
Ivy hörte, wie ein Sessel verrückt wurde. Dann erklang wieder die Stimme der Baronesse, die sich alles andere als begeistert anhörte.
»Nun berichte mir rasch, was du nicht länger zurückhalten kannst. Und dann geh zurück in den Saal, um unsere Gäste zu unterhalten.«
Marie Luise holte hörbar Luft. Wahrscheinlich überlegte sie, wie sie ihre Enthüllung noch dramatischer gestalten konnte.
»Ein Betrüger hat sich dreist in unsere Mitte geschlichen!«
»Ja, so etwas sagtest du bereits«, erwiderte die Baronesse kalt. »Komm zur Sache.«
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Ivy schmunzeln mögen. Nein, dieses Gespräch verlief nicht so, wie es sich Marie Luise ausgemalt hatte. So klang sie auch ein wenig verschnupft, als sie weitersprach.
»Ivy-Máire ist keine Erbin der Lycana! Sie besitzt überhaupt kein reines Blut. Wir haben eine Unreine in den Reihen unserer Akademie. Sie hat sich unter Lügen bei uns eingeschlichen, um unsere Geheimnisse zu ergründen, dabei ist sie nichts weiter als eine wertlose Servientin!«
Die Baronesse schwieg einige Augenblicke, doch Ivy kam es so vor, als könnte sie keine Überraschung spüren. War das möglich? Hatte die Baronesse bereits davon gewusst? Aber warum hatte sie Ivy dann gewähren lassen? Bei allen anderen Clanführern konnte sich Ivy vorstellen, dass sie ein Auge zudrückten, aber die stolzen Dracas?
»Wie kommst du zu deiner Anschuldigung?«, fragte die Baronesse nach einer Weile.
»Ist das nicht offensichtlich? Sie sieht noch immer aus wie ein Kind, während wir in den letzten Jahren gewachsen sind und uns zu unserem Vorteil entwickelt haben.«
»Nicht alle jungen Vampire entwickeln sich gleich. Es ist also lediglich eine Vermutung.«
»Nein! Natürlich war da zuerst der Verdacht, den ich schon eine ganze Weile hege. Wenn es nur das wäre, hätte ich sofort zu Euch kommen können. Ich habe sie aufmerksam beobachtet und siehe da, sie wurde bei einer der Fechtstunden von Karl Philipps Degen an Hals und Schulter verletzt.«
»Und?«
»Als ich sie am nächsten Abend sah, trug sie ein hochgeschlossenes Kleid, obgleich wir Tanzunterricht hatten, und der Schnitt an ihrem Hals blutete!«
»Dann kann sie keine Unreine sein«, gab die Baronesse zurück. Schwang da so etwas wie Erleichterung in ihrer Stimme? Warum? Weil sie nun glauben konnte, nicht von einer Lycana hinters Licht geführt worden zu sein?
»Nein! Wenn sie eine Lycana reinen Blutes wäre, hätte die Narbe
zwar noch ein oder zwei Nächte zu sehen sein müssen, hätte aber nicht mehr bluten dürfen wie eine frische Wunde. Vermutlich hat sie sich selbst geschnitten, um davon abzulenken, dass die Verletzung in nur einem Tag völlig verschwunden war, wie es nur bei Unreinen der Fall sein kann.«
»Bist du jetzt fertig?«
»Nein, denn ich wollte noch einen Beweis und den habe ich hier«,
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