Die Erben der Nacht 04 Dracas
gehst!, maulte Seymour und strich missmutig zwischen den beiden Vampirinnen auf und ab.
Alisa tätschelte ihm den Kopf. »Es gefällt ihm nicht, dass er nicht mitkommen kann, nicht wahr? Aber das geht nun wirklich nicht. Selbst wenn wir eine Loge für uns haben, kann man keinen Wolf mit ins Theater nehmen. Das muss er doch einsehen.«
»Einsehen vielleicht schon, deshalb muss es ihm aber nicht gefallen«, meinte Ivy, der das Kammermädchen gerade das Haar aufsteckte. Zu Seymour sagte sie im Stillen:
Wie sollte ich mich davon ausnehmen? Alle Erben werden gehen und bestimmt werden uns nicht wenige Dracas begleiten. Das ist nicht der rechte Zeitpunkt, zuzuschlagen, nicht einmal für den mächtigen Meister.
Wollen wir es hoffen, knurrte der Wolf.
Sie machten sich auf den Weg. Seymour wollte sie wenigstens bis in die Halle hinunterbegleiten. Auf der Treppe trafen sie auf Luciano und Franz Leopold, die sich ihnen wie selbstverständlich anschlossen. Alisa biss sich auf die Lippen. Sie verstand immer noch nicht, wie Luciano nach diesem Verrat seine Gegenwart ertragen konnte. Doch der Nosferas war mit seinen Gedanken wieder einmal weit weg.
Nach und nach versammelten sich alle Erben und einige Dracas im Vestibül an der Kutschenumfahrt. Unten in der Seilerstätte rollten die ersten Fiaker vor, da die Dracas nicht über genügend eigene Kutschen verfügten. Die Servienten der Erben sollten im Palais bleiben, da es nicht genug Logen für alle gab und der Baron nicht wollte, dass sie stundenlang um das Theater herumschlichen. Man sah den Servienten an, dass es ihnen nicht recht war, ihre Schützlinge alleine ziehen zu lassen. Schließlich waren sie von ihrem jeweiligen Clanoberhaupt beauftragt worden, für die Sicherheit ihrer Erben zu sorgen. Aber der Baron hatte entschieden und ließ sich nicht herab, mit Unreinen zu diskutieren. Sie alle wussten, dass auch Hindrik protestiert hätte, doch der war weit weg im Haus am
Rabensteig - was zum Glück keinem aufzufallen schien. Dachten sie zumindest, bis Tammo Alisa mit dem Ellenbogen anstieß.
»Schwesterherz, hast du eine Ahnung, was es mit dieser ungewöhnlichen Pflichtvergessenheit unseres Wachhundes auf sich hat? Ich habe Hindrik seit zwei Nächten nicht mehr gesehen und auch jetzt ist er wie vom Erdboden verschluckt, obwohl dies doch sein Auftritt wäre, bei dem er darauf pochen könnte, immer in unserer Nähe bleiben zu müssen.«
»Mach dir keinen Kopf, kleiner Bruder. Freu dich doch, dass er nicht dauernd auftaucht und dir und den Pyras den Spaß verdirbt. Ich denke, er hat eingesehen, dass wir hier in Sicherheit sind und seine übliche Wachsamkeit übertrieben ist. Vielleicht ist er mit Matthias unterwegs. Die beiden scheinen sich angefreundet zu haben.«
Tammo musterte seine Schwester. »Weißt du was? Ich sollte bei Leo noch ein paar Unterrichtsstunden nehmen«, meinte er nachdenklich. »Es wäre wirklich von Vorteil, das Gedankenlesen zu beherrschen, wenn man von der eigenen Schwester so dreist angelogen wird.«
Die Dracas riefen zum Auf bruch. Anscheinend würden der Baron und die Baronesse sie nicht begleiten. Zumindest konnte Ivy sie nirgends sehen. Von oben erklang eine erregte Stimme, dann eine andere, leiser und beschwichtigend.
Luciano packte Alisa beim Arm und schob sie auf eine der fremden Kutschen zu. »Vielleicht können wir vorher einen kleinen Umweg fahren?«, raunte er ihr zu.
»Aber nicht zu lange!«, mahnte sie. »Wir müssen rechtzeitig zu Beginn der Vorstellung im Theater sein!«
»Als ob das so wichtig wäre«, maulte Luciano, der hinter Alisa in die Kutsche kletterte. Franz Leopold stand am Schlag und wollte gerade Ivy beim Einsteigen helfen, als ein Ruf vom Tor her beide innehalten ließ.
»Halt! Ivy-Máire de Lycana, komm hierher!«
Es war der Baron, der mit finsterer Miene unter dem Tor stand. Die Baronesse drängte sich neben ihn.
»Nun lass sie doch erst ins Theater fahren«, sagte sie beschwichtigend, was so gar nicht zu ihrer Art passte.
»Nein, wir klären das auf der Stelle!«
»Was ist denn los?«, fragte Franz Leopold leise. »Sollen wir sie ignorieren und einfach fahren?«
»So, wie er sich anhört, wäre das nicht ratsam. Wir warten hier auf Ivy«, schlug Alisa vor.
Luciano schimpfte. »Das geht nicht. Wir haben doch eh so wenig Zeit.«
Ivy trat vom Schlag zurück. »Fahrt ihr schon mal vor. Ich kläre das hier und komme dann mit einer der anderen Kutschen nach.«
Franz Leopold warf ihr einen besorgten Blick zu.
Weitere Kostenlose Bücher