Die Erben der Nacht 04 Dracas
zu überlassen?«
Franz Leopold verbeugte sich spöttisch. »Verehrte, ich bin untröstlich, dass du dich langweilen musstest. Hast du kein spannendes Buch in deiner Reisekiste mitgebracht? Dann darf ich dich zu einem Besuch unserer Bibliothek auffordern.«
Alisa machte eine wegwerfende Handbewegung. Obwohl es nicht viel gab, das sie mehr begeisterte als ein gutes Buch, stand ihr nun der Sinn nach anderer geistiger Nahrung.
»Übrigens, damit ihr dieses schwere Schicksal nicht wieder erleidet, habe ich für die nächsten Abende ein Unterhaltungsprogramm organisiert, bei dem ihr Wien ein wenig kennenlernen könnt.«
»Was für ein schöner Einfall, Leo!« Fast hätte ihn Alisa in ihrer Freude umarmt. Sein spöttisches Lächeln hielt sie gerade noch rechtzeitig zurück. Rasch ließ sie die Arme wieder sinken und verschränkte sie hinter ihrem Rücken. Auch Ivy und Luciano freuten sich sichtlich.
»Wunderbar«, strahlte Alisa. »Und weißt du auch schon, was wir heute lernen werden?«
»Wobei wir wieder beim Thema wären«, stöhnte Luciano.
»Soviel ich gehört habe, wird es heute wohl nichts mit der von dir so herbeigesehnten geistigen Nahrung.«
»Der Unterricht fällt aus?« In Alisas Miene breitete sich solches Entsetzen aus, dass Luciano lachen musste und auch Franz Leopold schmunzelte.
»Nein, ganz so fürchterlich wird die Nacht nicht. Es handelt sich aber eher um körperliche Ertüchtigung.«
»Was? Sinnlos durch die Gegend rennen wie in Irland?«
Nun war es an Luciano, entsetzt dreinzuschauen. Franz Leopold und Ivy sahen einander lachend an.
»Wie schwer es doch ist, es allen recht zu machen. Allerdings haben die Dracas sicher nicht vor, mit uns im Stadtpark auf und ab zu laufen oder gar ganz unschicklich über die Ringstraße zu rennen.«
Franz Leopold nickte hoheitsvoll. »Unsere Ivy ist wieder einmal die Weisheit in Person. Nein, wir werden uns in der Handhabung diverser Waffen üben, wie es schon seit jeher in adeligen Kreisen Brauch ist.«
»Nur bei den Männern von Adel«, vermutete Alisa mit einer Grimasse.
Franz Leopold ließ seine Zähne aufblitzen. »Das hast du klug erkannt, aber du brauchst nicht in Verzweiflung zu versinken. Wir Dracas sind der Meinung, dass es auch einer Vampirin nicht
schadet, mit einer Klinge umgehen zu können. Das Fechttraining fördert Geschick und Beweglichkeit, was Herren und Damen gleichermaßen auch beim Tanz zugutekommt.«
Ivy schüttelte sich vor Lachen. Sie legte ihr Buch beiseite und erhob sich. »Ihr seid um keine Ausrede verlegen, das muss man euch lassen. Nun gut, dann lasst uns fechten lernen. Wir mussten ja bereits in Irland erleben, dass es von Vorteil ist, diese Kunst zu beherrschen. Und ich muss sagen, ich war von Anna Christinas Fechtkünsten sehr beeindruckt.«
Alisa nickte. »Ja, auch wenn ich es ungern zugebe, sie ist exzellent! Ich werde mich sehr anstrengen müssen, um sie jemals zu besiegen.«
Es freute sie nicht, dass Franz Leopold zustimmend nickte. »Ja, wenn du das vorhast, solltest du dich Nacht für Nacht auf ausgedehnte Übungsstunden einstellen. Anna Christina hat dir nicht nur viele Jahre Training voraus, sie besitzt auch Talent! Und nun kommt mit hinauf in eure Kammern. Eure Kleider für die Trainingsstunden liegen schon für euch bereit.«
Eine halbe Stunde später trafen sie sich in dem von den Coburgern »Sitzsaal« genannten Raum im Nordostflügel hinter dem großen Ballsaal, der nicht nur eine ansehnliche Sammlung von allerlei Waffen aus verschiedenen Epochen enthielt, sondern mit seiner großen freien Fläche und dem federnden Holzboden ein ideales Übungsfeld bot.
Staunend traten die ganz in Weiß gekleideten Erben ein und sahen sich um. Die Vampire trugen bequeme Hosen und kragenlose Hemden, die Vampirinnen Kleider mit einfachen weiten Röcken, die gerade einmal bis zu den Waden reichten, und flache, bis über die Knöchel geschnürte Schuhe. Nur Ivy und die beiden Pyras zogen es vor, barfuß zu fechten.
Tammo pfiff anerkennend durch die Zähne. »Mit diesen Waffen kann man eine ganze Armee ausrüsten.« Er strich mit dem Finger über die lange Schneide eines Schwertes von mehr als zwei Schritt Länge.
»Au! Die ist ja richtig scharf.« Er steckte sich den blutenden Finger in den Mund.
»Was hast du gedacht?«, spottete Fernand. »Dass wir hier mit Kinderschwertern aus Holz fechten?«
»Stellt euch dort in zwei Reihen auf. Die Herren auf die rechte Seite, die Damen auf die linke.«
Zwei Dracas standen in der
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