Die Erben der Nacht 04 Dracas
hatte ihr Philipp keinen Antrag gemacht. Vermutlich war er zu der vernünftigen Erkenntnis gekommen, dass sie nicht die richtige Frau für ein Leben an seiner Seite war. Die Krankenschwester hatte daran sicher ihren Anteil gehabt.
Latona ging in ihr Zimmer zurück. Vielleicht war es an der Zeit, ihre Reisetaschen zu packen. Sie hatte noch nicht recht begonnen,
als es an der Tür klopfte und einer der Lakaien mit einem großen, flachen Paket in den Armen eintrat.
»Was ist das?«
Der Lakai zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Fräulein Latona. Dies Präsent wurde eben für Sie abgeben. Es ist kein Absender vermerkt. Aber vielleicht finden Sie eine Karte im Innern.«
Er legte die Schachtel auf ihr Bett und zog sich mit einer Verbeugung zurück. Neugierig trat Latona näher, betrachtete die Schachtel von allen Seiten, hob sie an und schüttelte sie.
Was um alles in der Welt konnte das sein? Und wer würde ihr ein Geschenk schicken? Philipp? Nein. Es wäre zwar durchaus möglich, dass er das Bedürfnis verspürte, ihr ein Abschiedspräsent zu geben, doch würde er es ihr dann nicht selbst überreichen, um zu sehen, wie sehr sie sich darüber freute?
Neugierig und ein wenig verwirrt zog Latona die rote Schleife auf und hob den Deckel an. Es klopfte an ihrer Tür, doch Latona reagierte nicht. Deckel und Schleife noch in den Händen, stand sie reglos da und starrte auf den Inhalt des Pakets herab.
Es klopfte noch einmal. »Latona, darf ich hereinkommen?« Es war Brams Stimme.
»Ja, kommen Sie herein«, antwortete sie tonlos.
Eine goldumrandete Karte in den Händen trat Bram Stoker ein, doch Latona starrte noch immer auf den Inhalt der Schachtel herab.
»Was ist das?«, fragte Bram, als er neben sie getreten war.
Mit zitternden Händen breitete Latona ihr Geschenk auf dem Bett aus. »Es ist eine große Ballrobe«, sagte sie ungläubig. »Ein Kleid, wie es Gräfinnen und Herzoginnen tragen. Für mich?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Da muss eine Verwechslung vorliegen. Wer sollte mir so etwas schicken? Und wozu? So etwas trägt man …«
Bram lächelte seltsam, als er ihr ins Wort fiel. »… auf einem Hofball, ja, das ist richtig. Und ich sage dir, du wirst damit nicht wenig Aufsehen erregen.«
Latona sah ihn misstrauisch an. Warum spottete er über sie? Nun war es aber genug!
Doch Bram schien entschlossen, das Spiel noch weiter zu treiben. »Du solltest es anprobieren, ob nicht die ein oder andere Änderung nötig ist.«
Latona stemmte die Hände in die Hüften. »Was ist hier los?«, rief sie scharf. Statt einer Antwort reichte ihr Bram die Karte, die mit schöner, ein wenig altmodischer Schrift bedeckt war. Es bereitete ihr keine Schwierigkeiten, die Worte zu lesen, doch sie musste es mehrmals tun, um ihren Sinn wirklich zu begreifen. Langsam ließ sie die Einladungskarte sinken, sah erst das Kleid und dann Bram an.
»Die Vampire laden uns zum großen Ball des Kaiserhauses in die Hofburg ein?«
»Ja, so ist es. Ich denke, wir werden unsere Abreise noch einige Tage verschieben, um der Einladung zu folgen.«
»Natürlich!«, rief Latona, der es bei der Vorstellung ganz schwindelig wurde.
»Ich weiß zwar nicht, wie es die Dracas geschafft haben, uns auf die Gästeliste zu schmuggeln, aber das soll uns nicht kümmern«, meinte Bram kopfschüttelnd. »Solch eine Gelegenheit bietet sich uns ganz sicher nicht noch einmal.«
»Was werden Sie anziehen?«, fragte Latona, die den Blick nur schwer von dem Traum aus aprikosenfarbener Seide und Spitze auf ihrem Bett losreißen konnte. Dabei hatte sie gedacht, im Gegensatz zu anderen jungen Mädchen immun gegen die Verlockungen schöner Kleider und anderen Tands zu sein. Bram sah ein wenig verlegen drein. Latona runzelte die Stirn, dann lächelte sie.
»Lassen Sie mich raten. Sie wussten schon, was in dem Paket ist. Die Dracas haben Sie auch mit einem Präsent bedacht.«
Bram nickte. »Ja, sie haben dafür gesorgt, dass ich nicht etwa in meinem altmodischen, abgewetzten Frack erscheine.«
Latona strich mit den Fingerspitzen über den schimmernden Stoff des Kleides, der mit winzigen Perlen verziert war.
»Schade, dass Malcolm nicht da sein wird. Mit ihm würde ich zu gerne tanzen.«
Bram legte ihr den Arm um die Schulter. »Ich werde mir die größte Mühe geben, dir ein angenehmer Tänzer zu sein.«
Latona lächelte schief. »Sie? Ich dachte, Sie tanzen nie. Haben Sie
das nicht immer wieder betont, wenn wir eine der Tanzvergnügungen besucht
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