Die Erben der Nacht 04 Dracas
Freundin gegenüber erledigte. Verlegenheit stieg in ihr auf und sie wandte den Blick wieder ab. Und doch. Sie musste es einfach wissen! Der Tanz näherte sich bereits seinem Ende. Alisa schloss die Augen und konzentrierte sich auf Leos Geist. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihn bei einer Nachlässigkeit erwischen würde. Der Dracas war schließlich nicht nur ein Meister darin, die Gedanken anderer zu lesen. Er verstand es ebenso perfekt, die seinen zu verbergen. So war sie mehr als überrascht, das Tor weit offen vorzufinden. Zaghaft tastete sie sich weiter, jeden Augenblick darauf gefasst, rüde hinausgeworfen zu werden. Doch nichts geschah. Sie spürte ehrliche Freude. Leo genoss jeden Augenblick, jeden Taktschlag mit ihr. Alisa bohrte noch ein wenig tiefer, bis sie auf etwas stieß, auf das sie nicht vorbereitet war. Sie riss die Augen auf und sog scharf die Luft ein. Für einen Moment kam sie außer Takt und stolperte, doch da war die Musik auch schon zu Ende. Sie blieb stehen und starrte Franz Leopold an, der ihrem Blick schweigend standhielt. Das war nicht möglich. Oder doch?
Da schlangen sich plötzlich ihre Arme um seinen Nacken, ohne dass sie es ihnen befohlen hätte, und ihr Körper, der ein Eigenleben zu entwickeln schien, presste sich gegen den seinen. Dieses Mal kämpfte sie nicht gegen die Welle der Gefühle, die sie überrollte. Sie reckte sich und küsste ihn mit all ihrer Leidenschaft. Leo umfing
sie und erwiderte den Kuss, als würden sie nicht in der Hofburg mitten auf der Tanzfläche stehen. Doch keiner hielt an, um sie anzustarren. Die Paare flanierten vorbei, als würden sie sie gar nicht sehen. Ob der Dracas auch das zu kontrollieren vermochte? Alisa wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, bis die Musik wieder einsetzte.
Endlich zwang sie sich, von ihm abzulassen und war fast ein wenig enttäuscht, dass Leo es zuließ.
»Es tut mir leid«, sagte er mit einer tiefen Traurigkeit.
»Was?« Entsetzen durchrann sie wie Eiswasser.
»Es tut mir leid, dass ich mich zu dieser unverzeihlichen Tat habe hinreißen lassen. Ich habe dich enttäuscht, ja, ich habe unser aller Freundschaft verraten. Ich würde es ungeschehen machen, wenn dies in meiner Macht stünde.«
Langsam dämmerte es Alisa. Er sprach von Clarissa und Luciano. Dies war im Augenblick alles so weit weg, obgleich sie gedacht hatte, sie könne dem Dracas niemals wieder ins Gesicht sehen, ohne an diesen abscheulichen Verrat erinnert zu werden.
Aber er hatte sich entschuldigt. Und er empfand mehr für sie, als sie zu hoffen gewagt hatte. Das hatte er sie eben spüren lassen. »Unser aller Freundschaft ist stärker, als ich dachte. Sie hat es überstanden. Und wir … Reden wir nicht mehr davon.« Alisa küsste ihn noch einmal. Dann tanzten sie einen Galopp, dass ihre Röcke nur so flogen.
Luciano stand am Rand und sah den Tanzenden zu. Seymour machte eine etwas komische Figur, doch Ivy schien es nicht zu stören. Sie sah vollkommen glücklich aus. Ganz im Gegensatz zu dem irischen Paar bewegten sich Franz Leopold und Alisa einfach traumhaft und die Vamalia wirkte nicht minder glücklich. Auch seine Cousine Chiara strahlte in Sörens Armen. Lauter glückliche Paare. Luciano seufzte leise. Wenn der Vamalia sie anständig behandelte, wollte er nichts dagegen sagen. Von ihrem Cousin würde sie sich eh keine Vorschriften machen lassen, so gut kannte er Chiara inzwischen. Dann tanzten Mervyn und Rowena an ihm
vorbei und hinter ihnen Anna Christina mit einem Offizier, der ganz in ihrem Bann zu stehen schien. Bram Stoker führte Latona nun schon das dritte Mal aufs Parkett, aber auch Seymour hatte die Nichte des Vampirjägers unter Brams wachsamer Aufsicht zum Tanz geführt. Der Werwolf und das Mädchen mussten sich in den vergangenen Wochen irgendwie nähergekommen sein. Tammo, Joanne und Fernand dagegen drückten sich am Rand herum und beobachteten das Treiben.
Luciano wandte sich ab. Unbemerkt verließ er den Ballsaal und strebte auf die große Halle zu. Die Lakaien verbeugten sich stumm, als er die Hofburg verließ und in die kalte Winternacht hinaustrat. Er überquerte den Michaelerplatz gemessenen Schrittes, dann begann er zu laufen. Er rannte so schnell er konnte durch die Stadt, sodass er für das menschliche Auge nur noch ein huschender Schatten war. Schlitternd kam er vor der Haustür zum Halten, die bereits nach seinem ersten Klopfen aufgerissen wurde.
Hindrik hob die Augenbrauen. »Ich dachte, ihr seid alle auf dem
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