Die Erben der Nacht 04 Dracas
haben?«
»Nun, dann mache ich jetzt eben eine Ausnahme«, gab Bram zurück und reckte die Brust. »Ein Hofball ist ja nicht irgendein Tanzvergnügen!«
Die Hofburg erstrahlte im Glanz Tausender Kerzen. Eine prächtige, wappengeschmückte Kutsche nach der anderen rollte über den Michaelerplatz zum weit geöffneten Portal der Hofburg und entließ ihre hochadeligen Insassen: die hoffähigen Familien, die über Generationen lückenlosen Adel nachweisen konnten, wie die Fürsten Esterházy und von Liechtenstein, die von Schwarzenberg und die Windischgrätz. Herzöge und Grafen traten in die große Halle, Fürstinnen und Prinzessinnen, aber auch neureiche Freiherren und Barone. Hinzu kamen das Offizierscorps, Minister und Gesandte und Eminenzen der katholischen Kirche. Lauter mehr oder minder schöne und reiche, doch ohne Ausnahme festlich gekleidete Menschen mit der Haltung derer, die wissen, dass sie weit über dem gewöhnlichen Volk stehen. Man kannte sich und grüßte einander, tauschte höfliche Floskeln aus, ließ sich Champagner reichen und mit dem Strom zum Ballsaal treiben.
Der Korso der Kutschen riss nicht ab. Nun sammelten sich einige Gäste vor dem Portal, die ausgesprochen wohlgewachsen waren. Groß, schlank, mit dunklem Haar und vornehm blassen Gesichtern, bildschön selbst die älteren unter ihnen. Mit untadeliger Haltung betraten sie in kleinen Gruppen die Hofburg und folgten den anderen Geladenen durch die prächtigen Räume und Korridore in den Festsaal.
Franz Leopold bot Alisa den Arm, während Luciano Ivy die Treppe hinaufführte. Alisa spürte Leos Nähe so bewusst, dass ihr ganzer Körper prickelte. Sie bemühte sich, nicht zu ihm hinzusehen und sich dafür ganz der Begeisterung für den verschwenderischen Glanz des Kaiserpalasts hinzugeben. Sie musste sich selbst zur Ordnung rufen, dass sie nicht undamenhaft den Hals reckte und ihrer Begeisterung laut Ausdruck verlieh.
»Ja, es ist alles unglaublich prächtig«, stimmte ihr Ivy zu. »Und erst die Ballroben. Es ist ein Rausch aus Samt und Seide und glitzernden Juwelen, dass einem ganz schwindelig wird.«
»Mich machen mehr die verwirrenden Gerüche nach Leibern und Parfum schwindelig«, meinte Luciano und schnupperte einer Dame hinterher, die eine Wolke von Wohlgerüchen um sich verbreitete.
»Auch das«, gab Ivy zu. »Wie gern würde ich Seymour das alles zeigen.«
»Ein Wolf hier in unserer Mitte könnte das Protokoll allerdings ganz schön durcheinanderbringen«, gab Franz Leopold schmunzelnd zu. Er führte sie durch die verschwenderisch dekorierten Salons, während er ihnen erklärte:
»Der Hofball zum Auftakt der Faschingszeit ist nur der zweithöchste Ball der Saison. Der vornehmste ist der Ball bei Hof, der erst zum Ende der Saison stattfindet.«
»Und was ist der Unterschied?«, wollte Alisa wissen.
»Zum Ball bei Hof wird nur der hoffähige Adel geladen, der Zutritt zum Kaiser und der Kaiserin hat. Beim Hofball dagegen sind auch Offiziere der Wiener Garnison, das diplomatische Corps und sogar in den Adelsstand erhobene Bürgerliche zugelassen.«
»Soll das etwa heißen, die Dracas haben nur zum Hofball Zutritt, nicht aber zum vornehmsten Ball bei Hof?«, rief Luciano mit gespieltem Entsetzen.
Franz Leopold zog eine Grimasse, doch dann lächelte er. »Zumindest ist es dort ein wenig schwieriger, sich eine Einladung zu besorgen und nicht aufzufallen.«
»Da sind Mr Stoker und Latona«, unterbrach Ivy. Sie begrüßten einander und wechselten höfliche Worte. Über ihre gemeinsamen Abenteuer zu sprechen, war dies nicht der rechte Ort. Allerdings richtete Bram ihnen Grüße von Professor Vámbéry und von van Helsing aus, während die Erben Latona Komplimente machten. Das Kleid stand ihr ganz wunderbar und mit ihren strahlenden Augen sah sie heute besonders hübsch aus.
»Aber nun lasst uns in den Ballsaal gehen« drängte Alisa, die keinen Tanz verpassen wollte. Außerdem war sie neugierig, die
Kaiserin zu sehen. War Elisabeth noch immer so schön, wie es überall hieß?
Sie kamen gerade noch rechtzeitig. Der Zeremonienmeister kündigte die Ankunft des Kaiserpaares an. Die Damen der Hofgesellschaft versanken in einem tiefen Knicks, die Herren verbeugten sich. Als sie sich wieder erheben durften, betrachtete Alisa die Herrscher neugierig. Franz Joseph hatte sie ja bereits im Burgtheater gesehen, daher galt ihr Interesse der Kaiserin. Sie hatte ihr vierzigstes Lebensjahr bereits überschritten und damit lagen für eine
Weitere Kostenlose Bücher