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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sah auf den seidigen Domino in seinen Armen herab und hoffte, dass seine Geschenke sie wieder versöhnen konnten.
    »Clarissa, sieh mal, was ich dir mitgebracht habe«, rief er, als er die schmale Treppe zum letzten Stock hinaufeilte.
    Er fand Clarissa in dem kleinen Zimmer, in dem sie ihre Särge aufgestellt hatten. Mit dem Rücken zu ihm stand sie an der offenen Tür zur Loggia. Der Nachtwind blähte die verschlissenen Vorhänge. Sie wandte sich nicht um, als er eintrat. Auch als er sich räusperte und noch einmal ihren Namen aussprach, rührte sie sich nicht.
    Verzagt trat er näher und stellte sich neben sie. Er folgte ihrem Blick über die Loggia in den Garten hinab, in dem sich das Laub der Büsche herbstlich verfärbte. Regen fiel leise flüsternd herab.
    Endlich wandte sie den Kopf und blickte in seine Richtung, doch es kam ihm so vor, als sehe sie ihn gar nicht an.
    »Hattest du eine angenehme Nacht?«, fragte sie mit seltsam teilnahmsloser Stimme.
    »Ja!« Es gelang ihm nicht, seine Begeisterung zu verbergen. »Es wird dir hier gefallen, wenn du diese unglaublich schöne Stadt erst einmal selbst sehen kannst. Aber schau, ich habe dir etwas mitgebracht.«
    Er reichte ihr den Fächer und den Domino mit der Maske. Clarissa nahm ihn und sah mit gerunzelter Stirn auf den schwarzen Umhang herab.
    »Jeder, ob Mann oder Frau, trägt ihn hier in Venedig im Karneval. So kann einen niemand erkennen«, erklärte Luciano, der ihre Miene missdeutete.
    »Ja, sie scheinen das Versteckspiel zu lieben«, sagte Clarissa noch immer in diesem abwesenden Tonfall. »Er trug auch so einen Umhang und eine Maske«, fügte sie hinzu.
    Nun war es an Luciano, die Stirn in Falten zu legen. »Wer? Wen meinst du?«
    »Der Mann, der mich heute hier besucht hat.«
    »Wie? Ich verstehe nicht.«
    Nun endlich richtete Clarissa ihren Blick auf Luciano und sah ihm in die Augen.
    »Ein Mann, ein Unbekannter, der in den Palazzo kam«, wiederholte sie lauter, obgleich Luciano ihre Worte durchaus gehört hatte.
    »Du willst sagen, du hast jemand hereingelassen, als ich nicht da war?«, rief er entsetzt.
    »Oh nein!« Clarissa schüttelte den Kopf. »Das musste ich nicht. Er hat nicht um Erlaubnis gefragt, hat weder geläutet noch geklopft. Er stand einfach plötzlich da  – drunten im Salon  – und sprach mich an.«
    »Das ist nicht möglich. Ich habe beide Tore verschlossen, als ich ging, und sie waren es auch noch, als ich zurückkam.«
    Luciano wusste nicht, was er von ihren Worten halten sollte. Konnte das ein Scherz sein oder wollte sie ihn mit dieser wirren Geschichte für sein Ausbleiben bestrafen?
    »Oh, ich glaube nicht, dass er sich von verschlossenen Toren aufhalten lässt. Ich denke, er kam über die Dächer und ist dann hier in der Loggia durchs Fenster eingestiegen. Schau dort, ist das nicht der Abdruck eines Schuhs auf der Fensterbank?« Sie deutete auf eine wie von Ruß verschmierte Stelle auf dem weißen Kalkstein.
    Luciano trat heran und beugte sich über den Fleck. Könnte das wirklich der Abdruck eines Schuhs sein? Er beugte sich tiefer herab und nahm Witterung nach der Fährte des Eindringlings auf.
    Nichts! Er konnte keinen Menschen riechen. Stattdessen wirbelte er den Ruß auf, der ihm in die Nase stieg. Luciano schüttelte sich und nieste herzhaft. Er brauchte eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte, dann sagte er mit fester Stimme:
    »Es war kein Mensch hier! Ich kann keine Fährte wittern. Ich würde es riechen, wenn ein Mensch über die Loggia in den Palazzo eingedrungen wäre.«
    Clarissa wiegte den Kopf hin und her. »Ja, ich frage mich auch schon die ganze Zeit, ob er wirklich ein Mensch war. Ich dachte es zuerst, wegen der Wärme, die ihn umgab. Und doch  … « Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Er ist wie ein flüchtiger Schemen, den man nicht erhaschen kann. Er fliegt wie ein Nachtfalke von einem Dach zum anderen und nichts kann ihn aufhalten. Er ist Herr über den Schlaf, der ihm gehorcht und seinem Befehl folgt. Dieser Mann war mir unheimlich, obwohl er sich höflich benahm. Und er hat mir gedroht  – mit freundlichen Worten zwar, aber es war eine Drohung.«
    Wovon zum Teufel redete sie? Luciano durchstreifte noch einmal das Dachgeschoss, stieg hinunter in die Wohnräume und nahm in jedem Schlafzimmer und jedem Salon Witterung auf. Clarissa folgte ihm nicht. Sie blieb am Fenster stehen und sah über die Loggia in den Garten hinunter.
    Nach einer Weile kehrte Luciano zurück. Mit festem

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