Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
sich gut gelaunt wieder auf den Weg. Er fand sogar einen Damenschneider und betrat das Atelier, um eine der Schneiderinnen zum Maßnehmen in den Palazzo zu bitten.
    »Meine Gemahlin ist im Moment etwas indisponiert«, entschuldigte er Clarissa, doch seine Bitte schien nicht unüblich zu sein. Lediglich als er die Adresse nannte, zog die Schneiderin die Brauen hoch.
    »Ca’ Dario«, wiederholte sie mit vielsagender Stimme, sagte aber nichts weiter, und darüber war Luciano froh. Er musste sich für solche Fälle unbedingt eine Erklärung ausdenken!
    Neugierig mischte er sich wieder unter die Menschen und ließ sich in der Menge auf den Uhrenturm zutreiben, unter seinen Bogen ziehen und dann mit all den anderen Nachtschwärmern auf einen großen Platz ausspeien. Luciano ging noch ein paar Schritte, dann blieb er stehen und sah sich staunend um.
    Für die Venezianer war der Markusplatz einfach la Piazza. Alle anderen Plätze mussten sich mit der Bezeichnung Campo begnügen. Unzählige Reisende hatte dieser Platz zum Schwärmen gebracht, und selbst Napoleon, der gekommen war, um sich Venedig einzuverleiben und tausend Jahre freie Handelsrepublik zu beenden, hatte den Markusplatz als den schönsten Salon Europas bezeichnet. Auf drei Seiten war der Platz von Arkadengängen umschlossen, die mit ihren herrlichen Säulen und Bögen zum Lustwandeln einluden. Zu seiner Linken erhob sich die prachtvolle, dem heiligen Markus geweihte Basilika golden schimmernd wie ein Märchenpalast. Den zahlreichen mosaikbesetzten Kuppeln sah man an, dass Venedig enger mit Byzanz verbunden gewesen war als mit der westlichen Kirche. Hier wurde das größte Heiligtum der Stadt aufbewahrt: die Überreste des heiligen Apostels Markus  – wenn sie es denn waren  – , die Venedig, nach Meinung seiner Bewohner, zu einem zweiten Rom erhoben, das sich vom Vatikan unabhängig wähnte.
    Der heilige Markus war nach Venedig heimgekehrt, so lautete die offizielle Erklärung, nachdem zwei Kaufleute den Leichnam, unter einer Fuhre Schweinefleisch versteckt, aus Alexandria geschmuggelt hatten. Schließlich hätte der Heilige ja eingreifen können, wenn ihm die Umsiedlung nicht beliebte. Doch der Tote war stumm geblieben, und so hatten sie ihm zu Ehren dies prächtige Gotteshaus errichtet mit dem freistehenden Glockenturm, der gleichzeitig als Wach- und Leuchtturm für das Hafenbecken diente.
    Luciano ließ seinen Blick den imposanten Campanile aus rötlichem Mauerwerk bis zu seinem grünen Spitzdach hinaufwandern, der seiner Meinung nach beträchtlich schief stand. Er schlenderte ein wenig unter den Arkaden auf und ab und warf einen Blick in die Kaffeehäuser, die ihn mit ihrer verschwenderisch goldenen und plüschig roten Aufmachung ein wenig an Wien erinnerten. Immerhin hatte Venedig eine Zeit lang unter Habsburger Besatzung gestanden, bis es sich einundsechzig nach der Gründung Italiens dem neuen Königreich angeschlossen hatte.
    Aus dem Caffè Florian waren Violinenklänge von Vivaldi zu hören. Sie begleiteten Luciano bis auf die Piazetta, die auf der einen Seite von dem luftig aufragenden Dogenpalast mit seiner rosa und weißen Marmorfassade und auf der anderen von der großen Bibliothek begrenzt wurde und den Blick über das Bacino mit seinen vertäuten Schiffen offen ließ. Zwischen den beiden hohen Steinsäulen, die, wie der Heilige selbst, Beutegut aus dem Osten waren, hatte man früher Hinrichtungen vorgenommen, wie Luciano gelesen hatte. Heute wurde auf den Plätzen vor allem gefeiert und farbenprächtige Spektakel zelebriert. Egal ob eine Prozession zum Fest eines Heiligen anstand oder die Republik eine wichtige Seeschlacht gewonnen hatte, gefeiert hatte man sich vor allem selbst. Die Macht, den Glanz, den Reichtum der Republik. Die Serenissima, die einzigartige Stadt im Meer!
    So war die Nacht wie im Rausch verstrichen. Es gab hier so viel zu entdecken. Er würde Clarissa das alles zeigen, später, wenn es ihr gelang, die Kanäle zu jeder Nachtstunde zu überqueren. Bis dahin hoffte er, sie mit seinen Geschenken und Erzählungen bei Laune halten zu können.
    »Clarissa?«
    Luciano legte einen betont fröhlichen Klang in seine Stimme, als er den dunklen Ballsaal betrat.
    »Wo bist du?«
    Keine Antwort. Luciano sah sich im Piano nobile um und stieg dann die Treppe ins nächste Stockwerk hoch. Auch hier war sie nicht. Er rief noch einmal ihren Namen, bekam aber keine Antwort.
    Sie war also doch beleidigt, weil er so lange weggeblieben war. Er

Weitere Kostenlose Bücher