Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
haben, doch trotz intensiver Suche ist es ihm noch nicht gelungen, sie aufzuspüren.«
»Das sind doch schon mal einige Informationen«, freute sich Alisa.
»Die uns aber nicht gerade weiterbringen«, entgegnete Tammo. »Hat er nicht irgendwas gesagt, wo wir ansetzen können?«
Anna Christina schüttelte den Kopf. »Es kribble ihn seit Tagen im Nacken, was ein untrügliches Zeichen sei, dass die Larvalesti bald wieder zuschlagen werden. Ein großer Coup sei geplant, behauptet er, aber es sei zum Verzweifeln, er könne trotz unzähliger Spitzel keinen zuverlässigen Tipp bekommen.«
»Das hilft uns alles nicht weiter«, stöhnte Tammo.
»Es sei denn, Anna Christina hat auch herausbekommen, wer seine Spitzel sind, und diese sind nicht ganz so zuverlässig in der Weitergabe ihrer Informationen an die Polizei, wie es der Commissario hofft«, meinte Hindrik und sah die Dracas aufmerksam an.
»Ein paar Namen konnte ich durchaus in Erfahrung bringen. Aber alles Weitere ist jetzt eure Aufgabe. Ich habe keine Lust, mir in irgendwelchen armseligen Hinterhöfen meine Röcke schmutzig zu machen. Ich muss morgen erst einmal sehen, dass ich mir eine ordentliche Garderobe besorge und das ein oder andere, was ich noch für meine Bequemlichkeit benötige.« Sie seufzte theatralisch. »So wie sich das hier anlässt, ist meine Hilfe noch länger vonnöten.«
»Wir schaffen das auch ohne dich«, brauste Tammo auf, doch Leo brachte ihn zum Schweigen.
»Du hast uns heute Nacht ein gutes Stück vorangebracht. Danke, Anna Christina.«
»Und das alles für eine Unreine«, seufzte sie und brachte damit schon wieder Lucianos Blut zum Kochen.
»Du weißt, es geht hier nicht nur um Clarissa«, sprach Leo schnell weiter, ehe Luciano sich ereifern konnte.
»Ich weiß, werter Vetter. Diese Larvalesti haben es gewagt, sich an einem Vampir zu vergreifen. Dies ist ein Angriff auf uns alle, dem wir entsprechend begegnen müssen.«
»Genau«, pflichtete ihr Leo bei. »Deshalb kannst du morgen deine Besorgungen machen und wir suchen diese Spitzel auf, um mehr über die Ahnungen des Commissarios herauszubekommen.«
***
Sie war so müde. Der Tag konnte noch nicht vorüber sein. Nicoletta ahnte das Licht hinter ihren geschlossenen Lidern. Ihr Vater war mit den anderen Männern – ihren Brüdern, den Cousins und ihren drei Onkels – die ganze Nacht unterwegs gewesen. Über den Dächern von Venedig, ihrem Revier, das in der Nacht ganz allein den huschenden Schemen gehörte. Nicoletta liebte die Stadt und sie liebte die Nächte, in denen sie sich frei fühlte. Wenn der Wind ihren Umhang blähte und das Wasser der Kanäle im Sternenlicht glitzerte, als wäre jeder Wellenkamm von Diamanten besetzt. Wenn die Wolken über den Himmel jagten und dann unvermittelt den Mond freigaben, der mit seinem Licht die Lagune in flüssiges Silber tauchte. Die schimmernden Dächer hoch über den engen, stinkenden Gassen, in denen sich der Unrat der Menschen sammelte. Hier oben waren sie der Erde und ihren Zwängen entrückt. Laufen und springen, ständig in Bewegung sein, dass es keinem Blick, der sie erfasste, vergönnt war, sie festzuhalten. Dann fühlte sie sich dem Himmel näher als der Erde. Wenn sie ihren Umhang ausbreitete und über Gassen oder Kanäle glitt, dann war sie so frei wie ein Vogel, der sich vom Wind in die Weite des Meeres hinaustragen ließ.
Frei!
Wie lange noch?
Der Gedanke fuhr wie eine Klinge durch ihr Herz. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken. Nicoletta kniff die Augen zusammen und drehte sich auf die andere Seite. Sie versuchte, sich in die schöne Stimmung zurückzuversetzen, die sie am Rande des Traumes entlang getragen hatte.
Die venezianische Nacht mit all ihrer Schönheit, mit ihren Geheimnissen und ihrem Zauber und ihrer ganz eigenen Musik. Dem Hauch des Windes, dem Murmeln des Wassers, dem Klang von Geige und Cello, der abends von prächtigen Palazzi auf die Kanäle hinausklang. Wenn die Fenster von Hunderten Kerzen erhellt golden erstrahlten, vom Wasser tausendfach widergespiegelt.
Gold, Silber und Juwelen, ja, das war es, was die Oscuri seit Menschengedenken liebten, was sie antrieb und niemals zur Ruhe kommen ließ.
Nicoletta träumte von dem Geschmeide, das ihr Vater ihr um den Hals gelegt hatte, als er von ihrem Ehrentag sprach, der vielleicht bald kommen würde.
Du wirst die prächtigste Braut sein, die Venedig je gesehen hat.
Nein, sie durfte nicht daran denken. Sie musste etwas anderes träumen, doch der
Weitere Kostenlose Bücher