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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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hervorgerufen hätten. Auf Clarissa wirkte die Mischung aus Schweiß, Angst, Schmerz und Verzweiflung vitalisierend. Es war, als stünde die Luft um sie unter der Spannung eines niederfahrenden Blitzes. Ihr Atem ging hektisch, ihre Finger zitterten, ja, ihr ganzer Körper bebte vor schmerzhafter Gier, die sie nicht länger unterdrückten konnte. Sie ließ sich von den Gerüchen leiten, bis sie vor der ersten Zelle stand, durch deren vergitterte Tür sie eine Frau aus blutunterlaufenen Augen anstarrte. Das ungewaschene schwarze Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Um ihren dürren Körper schlackerte ein weißes Gewand mit weiten Ärmeln, die bis zum Boden herabhingen. Sie sah Clarissa unentwegt an, die den Riegel aufschob und mit einem gemurmelten Gruß eintrat.
    »Du kannst nicht hier wohnen«, erwiderte die andere. »Ich bin immer allein. Ich warne dich. Ich beiße und kratze, bis du darum bettelst, verlegt zu werden.«
    Clarissa sah sie mitleidig an. »Du wirst mir nichts tun«, sagte sie sanft.
    Die andere lachte hart. »Du hast ja auch nicht mehr viel Haut übrig, die man dir zerkratzen könnte. Hast du mal in einen Spiegel gesehen? Weißt du, wie scheußlich du aussiehst?«
    Clarissa schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich ahne es.«
    »Was hast du angestellt?«, fragte die Frau neugierig.
    »Die Sonne hat mich verbrannt.«
    Die Schwarzhaarige blinzelte verwirrt. »Das wusste ich nicht. Dann ist es vielleicht gut so, dass wir hier die Sonne niemals zu sehen bekommen.«
    Wenn ihr Durst nicht so groß gewesen wäre, hätte ihr Mitleid mit diesem Geschöpf sie niedergedrückt. So aber trat sie noch einen Schritt näher und hob die Hand. Sie sah der Frau mit diesem bezwingenden Blick in die Augen, so wie Luciano es ihr gezeigt hatte.
    »Was für ein seltsamer Besuch«, murmelte die Schwarzhaarige. »Außer den Schwestern bekommen wir selten Menschen zu sehen, aber Nicht-Menschen hatte ich noch niemals zu Besuch.«
    Clarissa war für einen Moment aus dem Konzept gebracht und brach den Augenkontakt ab.
    »Was meinst du mit Nicht-Menschen?«
    »Dich! Oder willst du behaupten, du wärst ein Mensch? Lüg mich nicht an! Ich weiß, dass mich alle für verrückt halten, aber ich kann einen Menschen von einem Nicht-Menschen unterscheiden, wobei ich dir ehrlich gestehen muss, allzu viele habe ich noch nicht getroffen. Und seit ich hier bin, ist mir keiner mehr begegnet.«
    Clarissa starrte sie sprachlos an.
    »Was wirst du jetzt mit mir machen?«, erkundigte sie sich interessiert und brachte Clarissa damit noch mehr durcheinander. Menschen erkundigten sich nicht bei Vampiren nach ihrem Vorhaben! Und dennoch konnte sie nicht anders, als ihr antworten.
    »Ich werde mir ein wenig von deinem Blut nehmen. Nur so viel, dass du erschöpft in den Schlaf sinkst. Es wird dir nicht schaden, das verspreche ich.«
    Die Schwarzhaarige überlegte, dann nickte sie. »Ist gut. Wenn ich danach schlafen kann, darfst du das ruhig öfters machen. Ich kann schon lange nicht mehr schlafen, und von den Pillen der Doktoren bekomme ich schreckliche Träume. Ich spucke sie immer aus, wenn keiner hinsieht.«
    Nun war es die Schwarzhaarige, die den Blickkontakt mit der Vampirin suchte und vertrauensvoll so nahe herantrat, dass ihr Atem warm über Clarissas Gesicht strich. Zitternd vor Hunger beugte sich Clarissa vor und senkte ihre Zähne in den weißen Hals der Frau, die schon so lange keine Sonne mehr gesehen hatte.
    Sie trank gierig und schluckte, wie ein Ertrinkender nach frischer Luft schnappt. Erst als sie spürte, dass die Frau das Bewusstsein verlor, hielt sie inne und löste sich von ihr. Es kostete sie all ihre Beherrschung, denn satt war sie noch lange nicht.
    Die Frau sackte in sich zusammen. Clarissa fing sie auf und trug sie zum Bett. Sie legte sie nieder und deckte sie sorgsam zu, ehe sie die Zelle verließ und sich der nächsten Gittertür zuwandte, hinter der eine alte Frau lag und schlief. Auch sie trug das seltsame Nachtgewand mit den langen Ärmeln und war an den Handgelenken am Bett festgebunden. Clarissa trat zu ihr und beugte sich herab, aber der seltsame Geruch, der von ihrem Körper aufstieg, ließ sie innehalten. Ihre Instinkte warnten sie vor diesem Blut. Nein, das würde ihr nicht bekommen.
    So lautlos, wie sie die Zelle betreten hatte, verließ sie sie wieder und wandte sich der nächsten zu.
    Es war eine schier endlose Reihe wachsenden Leids. Sie wanderte durch die trostlosen Flure und suchte eine Zelle nach der anderen auf. Von

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