Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Gießerei, denn hier auf dieser kleinen Insel haben sie in früheren Zeiten Kanonen für die Kriegsschiffe gegossen, die im Arsenal im Osten der Stadt gebaut wurden. Aber dann haben sie irgendwann die Gießerei in die Nähe des Arsenals verlegt und hier die Juden angesiedelt, die sich zuvor frei in der Stadt hatten niederlassen dürfen. Meinst du, sie haben hier zwischen den Juden ihren Unterschlupf? Das ist kein schlechter Ort. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ghetto von den anderen Venezianern eher gemieden wird, und vielleicht lässt sich hier die Polizei nur selten blicken.«
»Wir werden sehen«, meinte Hindrik, dessen Blick noch immer den Männern folgte, die den Campo nun überquert hatten und auf eine Lücke zwischen den Häusern zugingen, wo es eine zweite Brücke zu geben schien. Doch plötzlich blieben sie stehen und wandten sich um. Alisa konnte geradezu spüren, wie ihr Blick den Campo absuchte, doch sie und Hendrik standen noch immer im Durchgang und konnten nicht entdeckt werden. Erst als sich die beiden wieder umwandten und auf die Brücke zugingen, huschten Hindrik und Alisa über den Campo und folgten ihnen weiter über die Brücke.
Nein, das Judenviertel war offensichtlich nicht ihr Ziel gewesen, oder etwa doch und sie hatten im letzten Moment entschieden, ihren Verfolgern das Versteck nicht preiszugeben? Wie lange sollten sie dieses Spiel noch mitmachen?
Nun schien sie ihr Weg wieder mehr nach Süden zu führen. Diente das alles nur der Verwirrung und würden sie am Ende wieder vor dem Palazzo Vendramin stehen? Hoffentlich nicht!
Sie trafen auf einen Kanal, der breiter war als der um das Ghetto und in gerader Richtung von Nordwesten her auf den Canal Grande zulief, so weit Alisa das beurteilen konnte. Wieder passierten die Männer eine Brücke und betraten dann den Campo San Geremia, dessen gleichnamige Kirche sich am Zusammenfluss des Kanals mit dem Canalazzo erhob. Die Kirche selbst schien in neueren Zeiten umgebaut worden zu sein. Die Marmorfassade zum Canale di Cannaregio hin war noch ganz neu und schimmerte hell im Sternenlicht. Eine Kuppel erhob sich in der Mitte des Kirchenbaus in Form eines griechischen Kreuzes. Der Glockenturm aus roten Ziegelsteinen dagegen war vermutlich einer der ältesten der Stadt und stand wie so oft ein wenig abseits. Zu Alisas Überraschung hielten die Männer am Fuß des Campanile an und öffneten das Tor. Dann waren sie verschwunden.
»Was zum Teufel wollen sie dort im Turm? Ist das etwa ihr Versteck?«, wunderte sich Alisa.
»Jedenfalls bleibt uns, wenn wir es herausfinden wollen, nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen«, brummte Hindrik, dem die Sache offensichtlich nicht gefiel.
Alisa öffnete so geräuschlos wie möglich die Tür und schlüpfte mit ihm hinein. Es war völlig dunkel, aber sie konnten Schritte auf der Treppe über sich erahnen, die sich an der Wand entlang nach oben wand. Mit wachen Sinnen folgten die Vampire den Larvalesti höher und höher. Sie mussten sich in über vierzig Meter Höhe befinden, als sie endlich das Ende der Stufen erreichten und im Sternenlicht eine Plattform erkannten, von der aus sich in jede Richtung zwei Bogenfenster öffneten. Alisa sah die beiden Vermummten, die ihre Beine bereits über die Brüstung geschwungen hatten. Oh nein! Sie hatte es befürchtet.
Einer drehte sich zu ihr um und schien ihr zuzuzwinkern. Dann stießen sie sich ab und öffneten die schwarzen Schwingen ihrer Umhänge. Sie segelten an der Kuppel der Kirche vorbei auf den Canalazzo hinaus, schwebten im Sinkflug über das Wasser und landeten dann offensichtlich unbeschadet auf der anderen Seite in San Polo.
»So leicht entkommt ihr mir nicht«, schimpfte Alisa und schwang sich ebenfalls auf die Fensterbrüstung, doch Hindrik packte sie am Arm.
»Nein! Du stürzt dich da jetzt nicht hinunter! Wenn du dich wandeln willst, dann tu das hier. Wenn es klappt, kannst du ihnen hinterher. Wenn nicht, ist unsere Jagd hier zu Ende.«
Es klappte nicht! Alisa dachte, vor Zorn platzen zu müssen, doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht wandeln. Am Ende kauerte sie hustend und keuchend am Boden. Hindrik wartete, bis sie sich beruhigt hatte, dann beugte er sich hinab und half ihr auf.
»Lass uns zurückgehen. Noch bleibt uns die Hoffnung, dass die anderen mehr Erfolg haben.«
Alisa nickte nur stumm. Sie trat noch einmal ans Fenster und sah über den Kanal hinüber, doch die Männer waren längst im Gewirr der Gässchen
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