Die Erben der Nacht - Pyras
Langeweile kannte sie nicht mehr, seit ihr Onkel sie aus dem Internat abgeholt hatte.
»Ich wünsche dir alles Gute«, flüsterte sie, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Nur eines war seltsam, dachte sie, als sie sich auskleidete und unter die weiche Daunendecke schlüpfte. Warum ging er immer nachts ins Spital? Waren die Ärzte zu dieser Zeit noch da, um Behandlungen durchzuführen?
»Ivy ist noch nicht zurück?« Luciano sah sich ungläubig um. Als er sie nicht entdecken konnte, breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Triumphierend stieß er die Faust in die Luft. »Ja! Gewonnen. Wir haben Ivy besiegt. Ich kann es kaum glauben. Das werde ich ihr noch lange unter die Nase reiben, das versichere ich euch.«
Alisa und Franz Leopold tauschten Blicke. »Ja, man kann es kaum glauben«, wiederholte der Dracas, allerdings in einem ganz anderen Tonfall.
»Es ist schlichtweg unmöglich!«, meinte Alisa, und in ihrer Stimme lag Besorgnis.
»Du meinst, ihr ist etwas zugestoßen?«, hakte Luciano nach. »Das wiederum kann ich mir nicht vorstellen. Wir sprechen von Ivy! Ich muss nicht aussprechen, was sie ist und wie viel Erfahrung sie in ihren vielen Jahren gesammelt hat.« Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über Franz Leopolds Gesicht, doch er schwieg. »Und noch dazu hat sie Seymour an ihrer Seite!«
»Eben«, meinte Alisa. »Und da glaubst du, dass sie zu so einer Übung länger braucht als wir? Sieh mal, selbst Tammo und Chiara sind inzwischen zurück.«
Luciano sah sich um. Es fehlten noch einige, doch die hatten sich wahrscheinlich verlaufen. Sébastien hatte ihnen bereits die Servienten nachgeschickt, um sie zurückzuholen. Das konnte eine Weile dauern.
Alisa lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was machen wir jetzt?«
»Ich denke, wir alle wissen, dass Ivy sich heimlich von der Truppe entfernt hat«, sagte Franz Leopold.
»Aber warum sollte sie das tun? Noch dazu, ohne uns mitzunehmen oder auch nur Bescheid zu sagen?«, fragte Luciano.
Auch Alisa war ratlos. »Wenn sie es uns gesagt hätte, wären wir mitgekommen. Das weiß sie.«
»Was nur den Schluss zulässt, dass sie uns nicht dabeihaben will«, ergänzte Franz Leopold. »Denn sie weiß genau, dass sie uns nicht zurückhalten kann, wenn sie etwas Spannendes und noch dazu Verbotenes vorhat.« Er grinste schwach.
»So wird es sein, aber um was könnte es sich handeln? Mir fällt nichts ein.«
»Und ich kann mir noch weniger denken, warum sie uns nicht dabeihaben will«, fügte Luciano hinzu. Er war sichtlich gekränkt.
»Die andere Frage ist, machen wir Sébastien darauf aufmerksam oder warten wir, bis er selbst darauf kommt«, sagte Alisa leise und nickte in Richtung des grobschlächtigen Pyras. »Noch scheint er keine Gedanken dieser Art zu hegen. Er vermutet Ivy bei denen, die noch in den Steinbrüchen umherirren auf der Suche nach dem Weg, den sie finden sollte.«
»Aber Niall ist nervös«, stellte Franz Leopold fest. »Er und Bridget werden bald Alarm schlagen.« Die Freunde sahen einander an und überlegten.
»Ich vertraue Ivy«, sagte Alisa schließlich. »Wenn sie etwas vorhat, dann ist es sicher wichtig und sie hat sich die Sache vorher gut überlegt.«
Franz Leopold nickte. »Dann sollten wir ihr für ihr Vorhaben so lange wie möglich den Rücken freihalten.«
»Ich finde es trotzdem ungerecht, dass sie uns nicht mitgenommen hat«, murrte Luciano.
»Vielleicht wollte sie einfach nur mal im unterirdischen Paris unterwegs sein, ohne dich ständig am Händchen halten zu müssen?«
Luciano funkelte Franz Leopold böse an, doch ehe ihm eine passende Erwiderung einfiel, ging Alisa dazwischen.
»Hört auf, ihr beiden. Seht nur, Niall will mit Sébastien sprechen. Wir sollten ihn noch ein wenig aufhalten.« Forsch trat Alisa auf Niall zu und versperrte dem Lycana den Weg. Sie verwickelte ihn in ein Gespräch über die Übungen in Irland und die Unterschiede zur Ausbildung in Paris, obwohl er ihr deutlich zeigte, dass er dafür im Moment keinen Sinn hatte. Alisa blieb hartnäckig, bis er sie schroff zurückwies.
»Was ist denn los?«, fragte sie ihn bemüht unschuldig.
»Ist dir nicht aufgefallen, dass Ivy und Seymour noch nicht zurück sind, obwohl sie die Ersten waren, die aufgebrochen sind?«
Alisa riss in gespielter Überraschung die Augen auf. »Ja, das ist
ungewöhnlich, aber es fehlen auch noch einige Vyrad, Dracas und Nosferas. Jolanda und Gaston werden die verirrten Schafe
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