Die Erben der Nacht - Pyras
hätte sich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen. Es wirkte fast ein wenig lächerlich, wie der große Vampirjäger Carmelo sich panisch umsah und dem freundlichen Mann zu entkommen suchte. Latona tat nichts, um ihm aus seiner Verlegenheit zu helfen. Nein, sie war viel zu neugierig, wer der
Herr war, daher trat sie zu ihrem Onkel und hakte sich bei ihm unter. Der schien sich entschieden zu haben, sein Heil im direkten Angriff zu suchen. Er nickte dem Herrn zu und hob seinen Hut.
»Monsieur le Directeur, ich grüße Sie. Was für ein herrlicher Herbsttag, um die exotischen Exemplare in Ihrem Tierpark zu bewundern. Meine Nichte Latona findet großen Gefallen daran.« Er wandte sich an Latona. »Das ist Monsieur Henri Ernest Baillon, der Direktor des Jardin des Plantes und damit auch der Menagerie.« Er winkte dem Direktor zum Abschied zu, ehe der mehr als ein paar Worte der Begrüßung sagen konnte. »Wir müssen weiter. Es war mir ein Vergnügen.« Carmelo legte seine Hand auf die seiner Nichte und zog sie mit sich fort. Auf ihre Frage, von woher er Monsieur Baillon kenne, antwortete er ausweichend, man würde ganz Paris abends am Pigalle antreffen.
Später im Hotel, als er sie wieder einmal alleine gelassen hatte, stürzten die Fragen auf sie ein, die Latona sich nicht beantworten konnte.
Wenn er abends gar nicht in die Varietés vom Pigalle ging, sondern ins Krankenhaus, wo hatte er dann den Direktor kennengelernt? Und noch viel wichtiger: Was hatte er an dem ersten Abend, an dem sie ihn verfolgt hatte, im Tiergarten zu suchen gehabt? Die einzige Erklärung, die ihr einfiel, war, dass der Direktor ebenfalls zu den heimlichen Patienten des Hôpital Cochin gehörte. Waren sie in dieser Nacht zusammen dorthin gegangen? Es war eine Möglichkeit, aber sie überzeugte Latona nicht so recht. Vor allem dass diese Besuche stets nachts abgehalten wurden, kam ihr mehr als nur ungewöhnlich vor. Irgendetwas ging hier vor sich. Und der Verdacht in ihr wurde immer dringlicher, dass es ihr nicht gefallen würde.
Zu Alisas großer Überraschung hatten die Pyras nichts dagegen einzuwenden, die Erben in den Jardin des Plantes mitzunehmen.
»Ihr könnt ein wenig mit den Ratten üben und euch die Tiere ansehen, die sie dort in den Käfigen und Gehegen ausstellen«, schlug Seigneur Lucien ein wenig abwesend vor und zog sich dann mit
seinen engsten Getreuen zurück, um ihnen Anweisungen zu erteilen. Alisa starrte ihm verdutzt nach.
»Damit hast du nicht gerechnet«, meinte Franz Leopold. »Hast dir wohl eine lange Reihe von Argumenten zurechtgelegt, die du nun gar nicht benötigst.«
»Ja, stimmt. Wer hätte das gedacht. Die Pyras überraschen mich noch immer. Ich kann sie nicht einschätzen. Bei uns wäre das ganz anders gelaufen.«
»Dann sei froh, dass sie so einfach zu handhaben sind«, schlug Franz Leopold vor.
»Einfach? Ich weiß nicht. Sagen wir, anders zu handhaben. Einfach birgt die Gefahr, dass man sie unterschätzt und das eines Tages bereuen muss.«
Franz Leopold hob nur die Schultern und gesellte sich zu Ivy und Luciano, die sich bereits den Pyras anschlossen, die sich auf den Weg zum Botanischen Garten machten. Alisas Blick fiel auf Malcolm, der versonnen in seinen Sarg schaute. Er bemerkte nicht einmal, wie sie an seine Seite trat, um zu sehen, was ihn so sehr fesselte, dass seine Sinne wie betäubt waren. Es war etwas Kleines, Rotes aus Stoff.
Alisa stieß einen Ruf des Erstaunens aus. »Die rote Maske!«
Malcolm starrte sie entsetzt an. Mit einer hastigen Bewegung riss er die Maske an sich und ließ sie unter seiner Jacke verschwinden, obwohl es dafür jetzt zu spät war.
Alisa streckte die Hand danach aus. »Zeig mal her. Ist das die Maske aus Rom?«
Widerstrebend zog Malcolm sie wieder hervor und ließ Alisa den weichen Stoff fühlen. »Ja, es ist eine der Masken des Zirkels aus Rom«, gab er zu.
»Warum hast du sie mitgenommen und was machst du jetzt mit ihr?«
Malcolm versuchte sich an einem Lächeln. »Nach unserem Abenteuer in Rom habe ich mir eine zur Erinnerung mitgenommen. Sie fiel mir gerade zufällig in die Hände, und da dachte ich daran, was wir dort bei den Nosferas alles zusammen erlebt haben. Komm jetzt, wir wollen doch nicht als Einzige hier in der Halle zurückbleiben.
« Er steckte die Maske wieder ein und lief den Dracas nach, die gerade als Letzte mit missmutiger Miene die steinerne Kammer verließen.
»Was um alles in der Welt sollen wir in einem Tiergarten?«, murrte Anna
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