Die Erben der Nacht - Pyras
Phantom zusammenzuckte. Der Vorschlag war ihm gar nicht recht, was die Vamalia nicht wunderte. Er hatte sich ein Versteck im Untergrund gebaut. Das hatte sicher einen Grund. Es war jedoch nur eine Zuflucht, solange es geheim blieb! Mit jedem Mitwisser stieg die Gefahr, dass der Ort von denen entdeckt wurde, die man am allerwenigsten dort vorfinden wollte. Was die Frage aufwarf: Wer waren seine Feinde oder Verfolger? Wollten ihm alle Menschen Böses?
Zu Alisas Überraschung entschied sich das Phantom, Ivys Wunsch nachzukommen, und lud sie ein, in seinem Kahn Platz zu nehmen. Alisa sprang hinein und setzte sich schnell, da Luciano das Ruderboot gefährlich ins Schwanken brachte. Rasch griff sie nach seiner Hand und zog ihn neben sich auf die Bank. Franz Leopold dagegen stieg so leichtfüßig ein, dass man es bei geschlossenen Augen nicht einmal bemerkt hätte. Er murmelte etwas über die Nosferas und ihre fast menschliche Geschicklichkeit, das Luciano geflissentlich überhörte.
Das Phantom ruderte sie auf die andere Seite hinüber und machte den Kahn an einem Steg fest. Für einen so hageren Menschen war er recht kräftig. Alisa musterte ihn neugierig von der Seite. Mit einem Ruck drehte sich Erik um und sah ihr in die Augen. Er musste den Blick gespürt haben und schaute sie nun völlig furchtlos, ja, herausfordernd an. Endlich wandte er sich den anderen wieder zu.
»Darf ich euch bitten, mir in meine Gemächer zu folgen«, sagte er höflich. Er ging vor ihnen her und betätigte den Mechanismus, der die Wand zum Verschwinden brachte und den Weg in sein Versteck freigab. Die Vampire warteten, bis Erik die Leuchter entzündet hatte, obwohl sie natürlich nicht einmal annähernd so viel Licht gebraucht hätten. Ja, Joanne kniff sogar die Augen zusammen und brauchte eine Weile, um sich an die Helligkeit so weit zu gewöhnen, dass sie sich, ohne zu zwinkern, umsehen konnte.
Alisa staunte. Ivy hatte nicht sehr viele Einzelheiten berichtet und so war sie von der Pracht und der ungewöhnlichen Ausstattung überrascht.
»Ah, ein Klavier und sogar eine Orgel«, sagte Franz Leopold. »Du kannst spielen?«
»Er ist ein Meister!«, antwortete Ivy schnell. Vielleicht fürchtete sie, sein wie immer etwas herablassender Ton könnte Erik beleidigen. Zu ihrer Überraschung fuhr der Dracas fort:
»Für ein Klavier ist es ein gutes Instrument. Wir haben in Wien einen Flügel, dessen Klang unübertroffen ist. Nun, vielleicht liegt es auch an der guten Akustik in unserer Halle«, fügte er hinzu und nahm auf dem Schemel Platz. Er streckte die Finger und hielt kurz über den Elfenbeintasten inne. »Darf ich?«
Eriks Rücken und Schultern entspannten sich sichtlich. »Bitte«, forderte er den Dracas auf.
Franz Leopold ließ ein paar Töne erklingen. Eine einfache Melodie, sanft und schmeichelnd. Dann erklang ein Akkord, erst leise und dann in seiner vollen Kraft, dass der Raum zu schwingen schien. Er variierte ihn in einem eigenen kleinen Stück, die Spannung wurde quälend, bis sie sich endlich in Harmonie auflöste.
Alisa wusste nicht, was sie erwartet hatte. Ein wenig Geklimper? Ein paar disharmonische Akkorde? Nein, wenn sie genauer darüber nachgedacht hätte, wäre ihr klar geworden, das würde nicht zu Franz Leopold und seinem Hang zum Perfektionismus passen. Widerstrebend musste Alisa ihm zugestehen, dass er gute Gründe für seinen Stolz hatte - was seine unerträgliche Arroganz natürlich auf keinen Fall rechtfertigte!
»Der Klang ist gut«, sagte Franz Leopold. Seine Hände fielen wieder auf die Tasten nieder. Alisa war, als habe sie dieses gewaltige Konzertstück schon einmal gehört. Erik erkannte es offensichtlich sofort.
»Ah, Beethoven, ich habe seine Symphonien immer gemocht. Sie lassen einen erschaudern, fassen unsere Seele und halten sie bis zum letzten Ton gefangen.«
Das war eine gute Beschreibung der Musik, die das unterirdische Gemach erfüllte. Selbst Luciano und Joanne standen reglos da und lauschten. Als die letzten Töne verklangen, war es Alisa, als erwache sie aus einem Traum. Franz Leopold griff nach einigen von Hand beschriebenen Notenblättern, die auf dem Klavier lagen.
»Was ist das für ein Stück?« Er schlug einige Tasten an.
»Nein, das ist nichts für dich!«, rief Erik, entriss ihm die Blätter und drückte sie an seine Brust.
»Was soll das sein? Das kann keiner spielen«, behauptete Franz Leopold.
»Es ist nicht leicht«, gab Erik ein wenig missmutig zu, »doch von einem guten
Weitere Kostenlose Bücher