Die Erben der Nacht - Pyras
prächtig die Pariser ihre Zollschranke buchstäblich unterliefen. So mussten die Schmuggler eben neue Verbindungen graben, wenn sie ihr lukratives Geschäft vor allem mit Wein nicht aufgeben wollten.
Bald hatten sie das Ende des Verbindungstunnels erreicht und konnten sich wieder aufrichten. Hier begannen die Steinbrüche, die sich unter dem früheren Château Vauvert ausdehnten, an dessen Stelle später im Mittelalter die Kartäuser Mönche Quartier bezogen hatten. Die Reste des riesigen Klosterareals mit seinen zahlreichen Gebäuden und Gärten nahmen heute Schloss und Park du Luxembourg ein.
»Sie waren noch vor kurzer Zeit hier«, stellte Ivy fest, und auch Alisa konnte die Witterung von Sébastien und den anderen Pyras aufnehmen.
»Los, hinterher!«, forderte Fernand und lief schon wieder los. Er durchquerte eine weitläufige Kaverne und bog dann in einen Gang ein. Der Geruch von Verwesung schlug den Erben entgegen. Alisa hielt schlitternd an.
»Was ist das?«, rief sie. Einem Menschen wäre es von diesem bestialischen Gestank übel geworden, die jungen Vampire dagegen schnupperten eher interessiert und auch ein wenig verwirrt. Der Geruch war so stark, dass er die Spur der Pyras überdeckte.
»Ist dort vorne ein Friedhof? Ich rieche alle Phasen des Zerfalls. Das ist nicht einfach nur ein toter Körper!«, behauptete Alisa.
»Es sind allerdings auch keine Menschen«, präzisierte Franz Leopold.
Alisa musste ihm zustimmen. Sie folgten Joanne und Fernand um eine Biegung, wo sich der Gang zu einem quadratischen Raum weitete, in dessen Mitte ein runder, gemauerter Brunnenschacht zu sehen war. Einige der Steine waren herausgebrochen und durch diese Lücken entströmte der betäubende Gestank. Alisa steckte neugierig den Kopf durch eines der Löcher. Der vermutlich ausgetrocknete Brunnen war meterhoch mit Köpfen verstopft. Abgeschlagene Katzenköpfe in jedem Zustand der Verwesung. Die untersten mochten inzwischen nur noch blanke Knochen sein, die obersten waren noch keinen Tag alt.
»Katzenköpfe?«, sagte Luciano verwundert, der durch ein anderes Loch spähte. »Was soll das? Werden hier auch schwarze Messen gefeiert? Dann scheint das eine lange Tradition zu haben, bei der Anzahl an geopferten Katzen!«
»Und sie müssen sich hier jede Nacht treffen«, ergänzte Franz Leopold.
»Ich hätte nicht gedacht, dass die Teufelsanbetung in Paris so beliebt ist«, meinte Ivy.
Fernand und Joanne sahen einander an und kicherten. »Nein, als Teufelsanbetung kann man das nicht bezeichnen.«
»Wenn ihr dort drüben in der Nische der gewundenen Treppe folgt, dann führt sie euch in einen Keller. Der Ausgang ist zwar vernagelt und von allerlei Gerümpel blockiert, aber das konnte uns natürlich nicht abhalten, als wir damals wissen wollten, was es mit den Katzenköpfen im Brunnen auf sich hat.«
»Und?«, drängte Alisa.
Joanne führte die Geschichte fort. »Der Keller gehört zu einem Haus, in dem sich ein nicht unbekanntes Restaurant befindet.«
Alisa und Ivy warfen sich einen Blick zu. Sie ahnten, was nun kommen würde.
»Und was haben die so auf ihrer Speisekarte?« Franz Leopold feixte.
»Die Spezialitäten heißen gibelotte und civet - also Kaninchen-Ragout und Hasenkeule«, übersetzte Joanne. Luciano prustete los.
»Den Gästen scheint es trotzdem zu munden. Das Restaurant gibt
es, seit ich denken kann, und die Spezialitäten scheinen nach wie vor gefragt«, spottete Fernand.
»Ja, das kann man wohl sagen«, meinte Alisa mit einem letzten Blick auf den Kadaverhaufen im alten Brunnen.
Sie eilten weiter und trafen nur wenige Minuten später auf Sébastien, Jolanda und einige andere Pyras. Offensichtlich hatten sie ihren Blutdurst für diese Nacht gestillt und waren bereits auf dem Rückweg. Als sie die beunruhigende Nachricht hörten, beschleunigten sie ihre Schritte. Die Freunde folgten ihnen und so erreichten sie bald darauf die Höhlen der Pyras. Natürlich waren Seigneur Lucien und seine Begleiter längst angekommen. Die Freunde fanden sie, die anderen Erben und ihre Servienten in der oberen großen Halle beisammen. Unter ihnen waren auch die Altehrwürdigen, wobei einige von ihnen einen noch zerzausteren Eindruck machten als sonst, erschöpft und ausgelaugt wirkten. Seigneur Lucien war gerade dabei, sie nach der vergangenen Nacht zu befragen.
»Und? Was hast du erfahren?«, mischte sich Sébastien ein. Alisa und die anderen drängten sich heran, damit sie seine Worte nicht verpassten. Nur Ivy hielt
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