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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sich nicht ganz aus ihrem Bewusstsein verscheuchen.
    Nicht jetzt!
    Es gelang ihr nicht mehr, sich zu konzentrieren. Wie ein hartnäckiger Parasit saugte es sich an ihrem entblößten Hals fest. Strich liebkosend an der bläulichen Linie entlang, die unter der weißen Haut zu ahnen war.
    Die Erkenntnis zuckte wie ein heißer Schmerz durch ihren Körper. Ihre Hand umkrampfte die perlenbestickte Tasche, in der sie die rote Maske stets bei sich trug. War das möglich? Herr im Himmel, Malcolm war hier! Hier in der Oper und er beobachtete sie.
    Musik und Schauspiel waren vergessen. Latonas Blick huschte hektisch umher. Sie musste nicht lange suchen. Er zog sie an wie ein Magnet und ließ sie zu Loge fünf im ersten Rang aufsehen. Die
bleichen Mädchengesichter vorn kamen ihr bekannt vor, doch sie achtete nicht auf sie. Sie sah nur die blauen Augen ein Stück weiter im Hintergrund, die starr auf sie gerichtet waren. Sein Mund öffnete sich zu einem Lächeln. Ohne zu bemerken, was sie tat, erhob sich Latona langsam von ihrem Sitz. Ihr Mund öffnete sich, und ehe sie es verhindern konnte, war der Schrei über ihre Lippen.»Malcolm!«
    Einige Leute wandten sich ihr zu. Verwunderung, Neugier und Ärger schlugen ihr entgegen. Eine Hand griff nach der ihren und zog sie auf den Sitz zurück.
    »Miss Latona, was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?«
    Bram Stokers Stimme klang wie von fern an ihr Ohr. Sie schüttelte langsam den Kopf. Es fühlte sich an, als bewege sie sich unter Wasser. Alles war ein wenig verschwommen und träge und nur noch von einem Gedanken beherrscht: Sie musste zu dieser Loge gelangen.
    »Miss Latona! Soll ich Sie hinausbringen?« Sie antwortete noch immer nicht. »Was ist dort oben, das Sie beunruhigt?«
    »Er ist in Loge fünf«, sagte sie wie in Trance. »Ich muss zu ihm.«
    »In Loge fünf? Das Phantom?« Bram klang alarmiert. Die Oper rückte auch für ihn in den Hintergrund.
    Latona blinzelte verwirrt. »Phantom? Welches Phantom? Nein, da ist Malcolm. Sehen Sie ihn nicht?« Ihr Geist erinnerte sie vage daran, dass Bram Stoker nicht wissen konnte, wer Malcolm war, und ihn das auch nichts anging. Nun war es zu spät. Bram beugte sich ein wenig nach vorn und sah zu der Loge hinauf. Latona spürte, wie er erstarrte. Er sog so scharf den Atem ein, dass es wie ein Pfeifen klang. Er kannte Malcolm? Nein, wie war das möglich? Und selbst wenn, konnte sie sich seine heftige Reaktion nicht erklären. Es war aber auch nicht sein Name, der als ein Stöhnen über Brams Lippen kam. Es klang wie »Ivy-Máire«.
    »Sie hat es mir prophezeit. Wir begegnen uns wieder.«
    »Ivy-Máire? Wer ist das?« Latona sah aus den Augenwinkeln, dass ihr Begleiter ähnlich erschüttert aussah, wie sie sich fühlte.
    »Das Mädchen mit dem Silberhaar. Sie hat es mir in Irland gesagt.«
    »Die linke der drei Vampirinnen?« Erst als die Worte verklungen
waren, wurde Latona bewusst, was sie gesagt hatte. Bram Stoker und das Mädchen starrten einander für einen Augenblick an.
    »Die Vampirin, die vor dem Mann mit der Maske sitzt«, fügte Latona hinzu.
    »Das Phantom!«, stieß Bram hervor. Beide sahen wieder zu der Loge hinauf. Die sechs Vampire saßen noch auf den roten Plüschsesseln. Das Phantom jedoch war verschwunden.
    Bram und Latona erhoben sich gleichzeitig von ihren Plätzen. Sie mussten nicht darüber sprechen. Sie wussten beide, dass sie so schnell wie möglich zu Loge fünf gelangen mussten. In diesem Moment fiel der Vorhang. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen, der Applaus brandete auf und wogte durch das Opernhaus. Es war kein Durchkommen! Die beiden waren zwischen Menschenmassen eingekeilt, die sich plaudernd in gemächlichem Schritt auf die Türen zubewegten und in die Gänge hinausströmten. Es kam Latona wie eine Ewigkeit vor, bis sie die Treppe endlich erreicht und die Stufen überwunden hatten. Sie zog an Bram Stokers Arm, doch der ließ es nicht zu, dass sie die Röcke raffte und undamenhaft den Gang entlangrannte. Er schritt so weit aus, wie es ihm in einem Opernhaus gerade noch schicklich vorkam.
    Schon von Weitem sahen sie, dass die Tür zur Loge fünf offen stand. Verzweiflung presste ihr Herz zusammen, noch ehe sie einen Blick hineinwerfen konnte. Die Vampire waren weg! Wie konnte er sich davonmachen, nachdem er sie mit diesem Blick angesehen hatte? Latona riss sich von Brams Arm los und legte die letzten drei Schritte so eilig zurück, dass sie sich beinahe den neuen Rock zerriss.
    Obwohl sie es

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