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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sich mit dem ihren verbinden und zeigte ihm, wie sie
sich gegen den Einfluss der Gezeiten verschloss. Leichtfüßig liefen sie los, bis sie die Insel hinter sich gelassen hatten. Jacob erbarmte sich Fernands und ging hinter ihm her, bis auch er die andere Seite erreicht hatte. Dann half er Anna Christina und Karl Philipp, die es immerhin geschafft hatten, die erste Brücke zu passieren. Nun fehlte nur noch Marie Luise, die noch immer jammernd jenseits des Dovenfleets stand.
    »Das schafft sie nicht«, prophezeite Franz Leopold. »Es war bei uns schon knapp und ist jetzt noch schwerer.«
    »Ja, und bis zum nächsten Gezeitenwechsel ist die Sonne aufgegangen«, ergänzte Luciano ungerührt.
    Alisa seufzte. »Gut, ich helfe ihr.« Sie lief zurück.
    »Komm, nimm meine Hand. Gemeinsam schaffen wir es«, forderte sie die Dracas auf, aber das Mädchen schüttelte den Kopf.
    »Nein, der Schmerz ist unerträglich.«
    »Und er wird schlimmer werden. Nun komm und stell dich nicht so an! Willst du hierbleiben, bis die Sonne aufgeht?«
    Doch die Dracas war für vernünftige Argumente nicht mehr zugänglich und weigerte sich weiterhin, es auch nur zu versuchen. Hilfe suchend warf Alisa Hindrik einen Blick zu, der noch immer mit verschränkten Armen dastand und das Schauspiel stumm betrachtete.
    »Du musst etwas unternehmen!«
    Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst.«
    Mit einer raschen Bewegung packte er Marie Luise und klemmte sie sich wie einen Sack unter den Arm. Sie strampelte und tobte, gegen Hindriks Kräfte konnte sie jedoch nichts ausrichten. Sie hätte mit ihren gellenden Schreien sicher das ganze Viertel alarmiert, wenn seine Hand ihr nicht unbarmherzig den Mund verschlossen hätte. Ungerührt schritt Hindrik mit dem sich windenden Paket über die Brücke, querte die Insel und schloss sich dann den anderen an. Alisa folgte ihm.
    »Das hat sicher wehgetan«, sagte Luciano mit einer Grimasse, als er Marie Luises Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Ja, davon kannst du ausgehen«, bestätigte Franz Leopold. »Ich
gehe jede Wette ein, dass sie bei der nächsten Übung alles gibt und als Erste auf der anderen Seite ist!«

    Der Zug rollte gleichmäßig voran. Tatam, tatam, tatam machten die Räder im Rhythmus der Stoßkanten der Schienen. Das junge Mädchen rekelte sich in seinem bequemen Sessel und gähnte herzhaft. Das eintönige Lied des Zuges machte sie schläfrig.
    Sie war nur mittelgroß gewachsen, hatte langes dunkles Haar und war von schlanker, ja fast magerer Statur. Die Wangenknochen traten deutlich hervor, ihre rehbraunen Augen waren umschattet. Vielleicht waren ihre Züge im vergangenen Jahr noch herber geworden. Sie war nicht schön zu nennen, und doch lag in ihren Augen, in denen sich Unschuld und ein fast unheimlich anmutendes Wissen vereinten, eine Faszination, die einen innehalten und das Mädchen betrachten ließ. Dann erwiderte sie den Blick und sah den Betrachter mit einer Intensität an, dass er die Lider senkte und seinen Weg f ortsetzte, die Erinnerung an das ungewöhnliche Mädchen als Begleiter.
    Tatam, tatam, tatam, flüsterten die Räder. Träge ließ sie den Blick schweifen, bis er am Rücken eines großen, breitschultrigen Mannes mit grauem Haar hängen blieb. Von hinten wirkte seine Silhouette wie die eines durchtrainierten Kämpfers, wie sie sich von Staatsmännern oder Adeligen anheuern ließen, die um ihre Sicherheit oder ihr Vermögen fürchteten. Sobald er sich aber zur Seite drehte, bemerkte man die Wölbung seines Bauches, die von Trägheit und zunehmendem Wohlstand sprach. Fälschlicherweise, wie das Mädchen wusste. Zwar waren dies Aussichten, die ihr Oheim angestrebt und durchaus begrüßt hätte, doch die Wendung, die ihr Leben in Rom genommen hatte, hatte ihn in seiner Lebensplanung zurückgeworfen und sie beide in einen Strudel unglaublicher Abenteuer gestürzt. Von seinem Ruhestand und dem Frieden eines zurückgezogenen Lebens war seit Rom nicht mehr die Rede gewesen. Sie waren von einem Ort zum nächsten gereist. Er schien wie ein Getriebener, ein Suchender, aber was hoffte er zu finden? Wann würde er zur Ruhe kommen? Und was
würde dann mit ihr geschehen? Vielleicht sollte diese Reise niemals zu Ende gehen.
    »Was gibt es denn zu sehen, Onkel Carmelo?«, durchbrach das Mädchen die Geräusche des rollenden Zuges. »Du starrst jetzt seit mehr als einer Stunde aus dem Fenster. Ich sehe nur Wiesen und Felder, ein paar Kühe und Schafe und dann wieder ein Dorf oder eine kleine

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