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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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viel Geld aus? Für das Hotel und für Latonas Wünsche, auf die er früher nie viel Rücksicht genommen hatte. Er schien ihr auch nachgiebiger. War er so krank, dass er ihre letzten gemeinsamen Tage so schön wie möglich gestalten wollte? Oder hatte er eine Geldquelle aufgetan, die ihnen diesen Lebensstil für längere Zeit ermöglichen würde?
    Latona beobachtete ihren Onkel genau und konnte keine Anzeichen eines Leidens feststellen. Dass er oft müde und ein wenig abwesend wirkte, war kein Wunder, wenn er sich jede Nacht herumtrieb und nur wenig schlief! Sein Appetit dagegen war mehr als nur gut, seine Haut hatte eine gesunde Farbe, und Latona konnte auch keine verräterischen Flecken oder Pusteln entdecken.
    Hatte sie beim Anblick des Hospitals voreilige Schlüsse gezogen? Sie dachte an die Vampire, die sich in Paris versammelt hatten. An Malcolm und seine blauen Augen. Ihre Finger strichen über die Stelle an ihrer Lippe, die seine Zähne verletzt hatten. Sie blutete schon lange nicht mehr. Nur noch eine kleine Kruste erinnerte an die Nacht in der Oper.
    Latona riss sich von ihrer Erinnerung an Malcolm los und konzentrierte sich wieder auf ihren Onkel und sein seltsames nächtliches Treiben. Wusste Carmelo von den Vampiren hier? Vermutlich. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Zusammentreffen ein Zufall war.
    Wieder warf sie unter gesenkten Lidern einen neugierigen Blick zum Tor hinüber. Eine junge Frau, die sich allerdings bewegte, als lasteten schon viele Dutzend Jahre auf ihrem gebeugten Rücken, schlurfte auf das Tor zu. Ihre Kleider waren alt und zerschlissen, doch einst von kräftiger Farbe gewesen. Das Haar hing ihr in verfilzten Strähnen über den Rücken. Sie klopfte. Ein Uniformierter öffnete.
Latona konnte nicht hören, was gesprochen wurde, doch nach einer Weile ließ er sie mit sichtlichem Widerstreben eintreten und schloss das Tor hinter ihr.
    Sollte sie es ebenfalls auf diese Weise versuchen? Dann wäre sie gut beraten, sich Kleidungsstücke zu besorgen, die ihr Anliegen glaubhaft machten. Sie würde sich Gesicht und Hände schmutzig machen und das Haar ein wenig zerzausen, überlegte Latona. Das würde heute Abend allerdings nichts mehr werden, dachte sie enttäuscht.
    Wieder wurde das Tor geöffnet. Dieses Mal, um eine Gruppe junger Frauen herauszulassen, die im Gegensatz zu der Leidenden zuvor geradezu vor Leben sprühten. Ihre Gewänder waren schlicht, sauber und in gedeckten Farben gehalten, die Haare ordentlich frisiert. Sie lachten und schlenderten plaudernd die Rue du Faubourg Saint Jacques hinunter. Latona sah ihnen nach und dann an sich hinab. Sie hatte sich für dieses Vorhaben einfach und unauffällig gekleidet und sah den Krankenschwestern - denn dafür hielt sie die jungen Frauen - nicht unähnlich. Der Plan reifte in ihr heran, als sich von der anderen Seite drei Frauen näherten, die ebenfalls in dieses Bild passten. Eine von ihnen war schon recht alt und sah in ihrem düsteren langen Gewand und dem weißen Tuch über dem Haar ein wenig aus wie eine Nonne, die anderen beiden waren jedoch nur ein paar Jahre älter als Latona.
    Was konnte ihr schon passieren? Dass sie entlarvt und zurückgeschickt wurde? Und wenn schon. Dass man sie festhielt und ihr Onkel sie auslösen musste? Latona zog unbehaglich die Schultern hoch. Diese Vorstellung war weit unangenehmer, aber dann hätte das Versteckspiel ein Ende und er müsste ihr die Wahrheit gestehen.
    Latona straffte entschlossen den Rücken und überquerte die Straße. Wie selbstverständlich schloss sie sich den drei Frauen an, die das erst bemerkten, als der Wachmann ihnen das Tor öffnete.
    »Ich bin neu hier«, beantwortete Latona die fragenden Blicke.
    »Du sollst hier heute mit der Nachtschicht anfangen?«, vergewisserte sich die ältere Schwester und musterte sie streng. »Dann bist
du aber spät dran. Marsch, marsch. Du musst ja noch eingekleidet werden.«
    »Oh, daran habe ich nicht gedacht. Ich bin schon ganz aufgeregt«, zwitscherte Latona und folgte den Frauen durch das Tor. Der Wächter machte keine Anstalten, sie aufzuhalten.
    »Bei wem sollst du dich melden?«, fragte eine der jüngeren Frauen, als sie einen weitläufigen Hof überquerten, der von schmutzigen Backsteingebäuden von allen Seiten eingeschlossen wurde.
    Latona gab sich erschrocken. »Oje, jetzt habe ich in der Aufregung den Namen vergessen.« Sie wühlte in ihrem Ridikül. »Und das Schreiben liegt daheim. Was soll ich nur tun?«
    »Du musst doch

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