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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sah sich in dem kahlen Raum um. »Warum bist du hier?«
    »Weil meine Gier mich blind für die Falle machte? Weil ich mich wie das dumme Wild in die von den Jägern gewünschte Richtung treiben ließ?«
    »Ja, deshalb konnten sie dich fangen, aber warum bist du hier in diesem Hospital? Warum haben sie dich nicht mit einer silbernen Klinge oder im Sonnenlicht vernichtet?«
    »Du weißt ja eine Menge über Vampire, kleines Mädchen Latona.« Mühsam kroch er näher an das Gitter heran.
    »Ja, das stimmt, und mein Onkel Carmelo weiß noch mehr. Ich vermute, du hast ihn in den vergangenen Nächten hier gesehen.«
    Der Vampir hob die Schultern. »Ich habe viele Menschen in weißen Kitteln gesehen. Es interessiert mich nicht, wer sie sind. Ich will nur endlich hier raus oder meiner Existenz ein Ende setzen.« Er hob den Blick und fixierte Latona aus seinen blutunterlaufenen Augen. »Lass mich hier raus. Die Schlüssel für die Gittertür sind dort in der Schublade.« Wieder wankte er und musste für einige Momente die Augen schließen. War er von Hunger geschwächt? Hoffte er, sie würde so einfältig sein, die Tür zu öffnen und ihm ihr Blut zu geben?
Denn sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass er sich sofort auf sie stürzen würde, sollte sie seinen Bitten nachgeben.
    »Das kann ich nicht tun!«, widersprach Latona fest.
    »Warum? Gehörst du doch zu denen, die mich hier festhalten und quälen?«
    »Nein!«, rief sie empört.
    »Warum willst du mir dann nicht helfen? Ah, du empfindest Furcht. Du denkst, ich werde mich an dir vergreifen, sobald das Gitter dich nicht mehr vor mir schützt. Das brauchst du nicht. Sieh mich an. Alle Stärke ist aus meinen Gliedern gewichen, alle Schnelligkeit. Es fällt mir sogar schwer, die Worte zu finden.«
    Das war nicht gelogen, und dennoch vermutete Latona, dass sein Überlebensinstinkt und Blutdurst ihn nach der ersten Nahrungsquelle greifen lassen würden, die sich ihm bot, und das war sie, mit ihrem warmen jungen Blut. Und sie war sicher, dass seine Körperkräfte - trotz der sichtbaren Schwächung - die ihren noch immer überstiegen.
    »Überwinde dich, ich schwöre, dass du es nicht bereuen musst«, drängte Seigneur Thibaut, aber Latona rührte sich noch immer nicht. Plötzlich wandte der Vampir den Kopf mit einem Ruck zur Seite.
    »Schnell!«, drängte er. »Sie kommen!«
    Latona eilte zur Tür. Nun konnte sie die Schritte ebenfalls hören. Wie der Blitz war sie durch die Stahltür und verbarg sich wieder in der Kammer mit den Räucherkästen. Sie konnte gerade noch die Lampe löschen, als der Schlüssel knirschte und mindestens ein halbes Dutzend Männer den Korridor betraten. Sie vernahm fremde Stimmen, die schnell Französisch sprachen, dann eine, die einen harten, deutschen Akzent hatte. Und dann sprach Carmelo. Ein Irrtum war ausgeschlossen! Ihr Onkel Carmelo, der auf dem Weg zu einem gefangenen Vampir war. Latona wurde es schlecht vor Zorn. Wie konnte er nur! Wie konnte er sich erdreisten, den Schwur zu brechen?
    Sie wartete noch, bis die Männer die Stahltür hinter sich geschlossen hatten, dann verließ sie den verbotenen Bereich und kehrte in den Hof zurück. Der Wächter am Tor grüßte sie und ließ sie ohne
Fragen passieren. Erst auf dem halben Weg zurück in ihr Hotel fiel ihr auf, dass sie noch immer Schürze und Haube der Schwesterntracht trug. Nun gut, vielleicht würde sie sie noch einmal brauchen können. Kurz bevor Latona das Hotel erreichte, nahm sie beides ab und wickelte es zu einer unauffälligen Tuchrolle zusammen. Dann trat sie in die große Halle, wo der Portier sie mit einer tiefen Verbeugung begrüßte.

ORPHEUS IN DER UNTERWELT
    Alisa eilte den Gang entlang. Bald schon versperrte ein Gitter ihr den Weg. Sie holte den Bund mit den Schlüsseln und Haken aus ihrer Tasche und öffnete das Schloss. Sie wusste, wie der Weg weiterging. Sie waren ihn bereits zweimal gegangen, und die beiden Ratten, die sie sich gerufen hatte, erkundeten bereits den Tunnel vor ihr. Dennoch blieb Alisa zögernd hinter der Gittertür stehen, nachdem sie sie wieder zugeschoben hatte. Das Schloss klickte, als es einrastete. Dann war es wieder still. Alisa rührte sich nicht und lauschte. Sie konnte nichts hören und war sich dennoch sicher, dass dort etwas war. Etwas, das hinter ihr herschlich. Ein Mensch schied aus. Jeder Mensch wäre schon von Weitem deutlich zu hören gewesen - mit Ausnahme von Erik vielleicht. Doch er würde sich kaum auf die linke Seite der Seine

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