Die Erben der Nacht - Pyras
sicher.«
»Die Frage, die sich außerdem stellt, ist, wie kommt es zu dieser Seuche unter den Vampiren. Ist diese Krankheit auf natürliche Weise
entstanden? Ich meine, hat sie auf natürliche Weise auf Vampire übergegriffen oder wird sie ganz bewusst als Waffe gegen eure Spezies eingesetzt?«
»Was?« Die Bücher entglitten Alisas Händen und polterten zu Boden. Erik bückte sich, um sie aufzusammeln. Sein vorwurfsvoller Blick brannte auf ihrer Haut.
»Entschuldige. Du meinst allen Ernstes, die Menschen würden a bsichtlich eine Krankheit unter uns verbreiten, um uns auszurotten?«
»Wenn sie es könnten, würden sie es, ohne mit der Wimper zu zucken, tun«, sagte Franz Leopold überzeugt. »Ich bezweifle nur, dass sie in ihrer Wissenschaft so weit sind, eine Seuche zu beherrschen und auf uns zu übertragen. Wie sollte das gehen? Außerdem müssten sie so eine Krankheit erst einmal herstellen. Das ist unmöglich!«
Erik zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist diese Krankheit von selbst entstanden, und sie haben durch Zufall herausbekommen, welch wertvolle Waffe sie gegen Vampire darstellt. Es war ja nur so ein Gedanke, weiter nichts.«
Alisa trug die Bücher an einen Tisch im großen Gemach und schlug das erste auf. »Egal ob Absicht oder nicht. Das Wichtigste ist, dass wir herausbekommen, um was es sich handelt und wie man es möglicherweise heilen kann.«
Schweigend vertieften sich die drei in die Bücher, schrieben ab und zu etwas heraus, was ihnen interessant erschien, und holten sich dann immer neue Werke, bis Franz Leopold hochschreckte.
»Es wird Zeit. Wir müssen zurück, sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig vor dem Sonnenaufgang. Wir sollten zumindest die Brücke hinter uns haben, sonst wird es mehr als nur unangenehm.«
Alisa sah zu Eriks Sarg hinüber. Sie schwankte zwischen dem Wunsch, die Nacht bis zur letzten Minute auszunützen, und dem Verlangen, nach Hindrik zu sehen und sich zu vergewissern, dass mit den anderen alles in Ordnung war.
Erik hatte den Blick anscheinend bemerkt. »Ihr könnt hierbleiben«, bot er an. »Es wird niemand eure Todesstarre stören. Ich glaube, ich werde selbst ein wenig ruhen, obwohl ich nicht mehr viel schlafe, seit
das Morphium zu seinem Siegeszug der Zerstörung durch meinen Körper angetreten ist.«
»Wir gehen zurück«, bestimmte Franz Leopold. »Ich möchte nicht, dass irgendjemand etwas Verrücktes unternimmt, nur weil sie annehmen, uns sei etwas zugestoßen.«
Alisa sah ihn überrascht an. So viel Rücksicht auf andere war sie von dem Dracas nicht gewohnt. Ja, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er überhaupt jemals an das Wohl eines Vampirs gedacht hatte, der nicht zu seiner Familie gehörte.
»Unsere Mademoiselle Latona scheint heute nicht ganz bei der Sache zu sein«, bemerkte Oscar Wilde, der neben ihr den zu diesen frühen Abendstunden belebten Boulevard entlangschlenderte. Mit dem anderen Arm hatte sie sich bei Bram Stoker eingehakt. Schon eine ganze Weile hatte Latona sich nicht mehr an dem leicht gelaunten Gespräch beteiligt.
Es waren erst zwei Tage vergangen, seit sie mit Bram Stoker zum Opernhaus aufgebrochen war, und doch schien dies ein anderes Leben zu sein. Es war eine Welt, in der es Malcolm wiedergab! Doch auch die Begegnung in der Nacht zuvor ließ Latona nicht mehr los. Der gequälte Vampir in seinem Käfig. Sie hörte Oscars Worte wie durch ein fernes Rauschen und konnte kaum deren Sinn erfassen.
»Dabei schien es ihr durchaus wichtig zu sein, Offenbachs Orpheus in der Unterwelt zu sehen. Wobei ich mir denken kann, dass es wieder einmal nur um den höllischen Schlussgalopp, den so verruchten Cancan, geht«, spottete Oscar gutmütig und sah Latona von der Seite an. Sie schreckte auf.
»Was? Oh, verzeihen Sie, ich dachte gerade an etwas anderes. Was haben Sie gesagt?« Sie wirkte entsprechend zerknirscht, wie es die Höflichkeit verlangte, doch Bram war sich nicht sicher, ob das Ganze nur gespielt war. Nach den Ereignissen zwei Nächte vorher schien es ihm verständlich, dass sie durcheinander war, was er seinem Freund aber lieber nicht so genau auseinandersetzen wollte.
»Mein Freund Oscar fragt sich, ob es wohl der Cancan ist, der Sie
an dem Stück heute besonders reizt«, wiederholte Bram, um sie abzulenken.
Latona lächelte verschmitzt. Nun schien sie auch mit ihren Gedanken wieder bei ihnen zu weilen. »Aber ja, spricht nicht ganz Paris von diesem schrecklich verdorbenen Tanz, der seitdem
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