Die Erben der Nacht - Pyras
Gefängnisses.
»Knoblauch«, keuchte er. »Jede Menge Knoblauch!«
Latona öffnete ihren Mantel und zeigte ihm den geflochtenen Zopf Knoblauchknollen, den sie dem Küchenjungen abgeschwatzt hatte. »Ja, ich habe jede Menge bei mir.«
»Keine Erlösung«, stöhnte der Vampir, »nur weitere Qualen bringst du mir. Wie konnte ich so einfältig sein zu hoffen.«
Latona richtete sich auf und trat forsch einen Schritt näher an das Gitter heran. »Du darfst hoffen. Gerade deshalb habe ich den Knoblauch mitgebracht. Denn auch wenn ich es falsch finde, dass man dich hier gefangen hält und quält, so will ich mich nicht selbst leichtfertig in Gefahr bringen.«
Die Kreatur am Boden horchte auf. Seigneur Thibaut erhob sich mühsam auf die Füße und drückte die Knie durch, bis er aufrecht in seinem Käfig stand. Er schob sich das lange Haar aus dem Gesicht und betrachtete Latona aufmerksam aus seinen tief liegenden roten Augen. »Ich sehe keine Falschheit und kann keinen Verrat wittern, nur ein wenig Furcht. Erstaunlich wenig Angst für ein Mädchen. Gibt der Knoblauch dir so viel Sicherheit? Nein, du bist außergewöhnlich beherzt. Eine ängstliche Natur würde dennoch vor mir zittern. Dann hast du dich also entschieden? Was soll es sein?«
Latona war erstaunt. Er machte tatsächlich den Eindruck, als wäre ihm die endgültige Vernichtung ebenso willkommen wie die Freiheit. Entschlossen trat sie an den Tisch, zog die Schublade auf und nahm einen Schlüssel heraus. Der Vampir hatte behauptet, es sei der richtige, die Gitter zu öffnen. Nun würde es sich zeigen, ob er recht hatte. Langsam hob sie den Schlüssel und wandte sich dem Schloss zu. Seigneur Thibaut rührte sich nicht. Er schien wie versteinert. Nur sein Blick folgte jeder von Latonas Bewegungen. Ihre Hand zitterte ein wenig, und sie brauchte zwei Versuche, bis der Schlüssel ins Schloss glitt. Sie holte tief Luft, warf dem Vampir noch einmal
einen kurzen Blick zu und drehte dann den schweren Metallring in ihrer Hand. Es klickte leise, dann war die Gittertür entriegelt. Ohne Hast wich Latona bis zur Wand zurück.
»Es ist offen. Du kannst hinaus!«, sagte sie ein wenig verwundert. Sie hatte erwartet, der Vampir würde aus dem Käfig drängen, sobald der Weg frei war, doch es vergingen selbst nach ihrer Aufforderung noch einige Augenblicke, ehe er sich auf die Tür zutastete. Er griff mit einer Hand in die Stäbe, als müsse er sich abstützen, um nicht zu fallen. War er schon so geschwächt? Zu geschwächt, um sich erholen zu können?
Unsinn! Er war ein Vampir. Er musste nur einen Tag in seinem Sarg ruhen und etwas trinken, um zu regenerieren. Menschenblut trinken! Latona schluckte trocken, rührte sich aber nicht und ließ ihn auch nicht aus den Augen. Jetzt verließ Seigneur Thibaut den Käfig und tappte wie ein Betrunkener auf sie zu. Zum ersten Mal fragte sich Latona, ob Knoblauch sie wirklich zuverlässig schützen konnte. Hatte ihr Onkel nicht irgendwann erzählt, dass die verschiedenen Clans im Laufe der Jahrhunderte unglaubliche Fähigkeiten entwickelt hätten und gegen einige der Abwehrzauber nun resistent seien? Jetzt war es zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Der Vampir war nun nur noch zwei Schritte von ihr entfernt. Er zitterte zwar, doch er stand aufrecht und hielt ihren Blick fest. Nun hob er die Pranke mit den langen, spitzen Klauen. Latona biss die Zähne zusammen und brauchte all ihren Mut, um nicht zurückzuzucken. Vielleicht war das wie mit den wilden Hunden. Erst wenn man Angst zeigte und floh, wurden sie zu Bestien und hetzten der Beute hinterher.
»Außergewöhnlich«, krächzte der Vampir. »Und bewundernswert. Du hättest keinen Knoblauch mitbringen müssen. Ich habe dir mein Wort gegeben, dich nicht anzurühren.« Er klang enttäuscht und wider Willen fühlte sich Latona schuldig.
Er stieß ein kratziges Lachen aus. »Du musst dich jetzt nicht entschuldigen. Ich danke dir und werde mich stets an den Dienst erinnern, den du mir geleistet hast.« Er reckte den Kopf vor und sog geräuschvoll die Luft ein, dann wandte er sich langsam ab und schlurfte auf die Tür zu.
»Warte!«, rief Latona. »Wie willst du unbemerkt aus dem Hospital entkommen?«
»Lass das nur meine Sorge sein. Vampire haben so ihre Möglichkeiten.«
»In deinem Zustand? Hast du dafür genügend Kraft?«
Wieder dieses Schnarren. »Danke der Nachfrage. Es wird schon gehen. Ich habe nicht vor, mich in eine Fledermaus zu wandeln oder als Nebel durch
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