Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
sie blieb mitten in der Höhle sitzen und versank wieder in den Bildern der Vergangenheit. Wann war es gewesen und wo? Und wer hatte gesprochen?
    Sie streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet, und verband sich mit den Strömen der Erde, wie ihre Mutter, die Druidin, es ihr beigebracht hatte. Dann ließ sie ihren Geist los, seine eigenen Pfade durch das Gestern und Heute zu gehen.
    Ivy sah sich auf einem hohen Berg stehen, umgeben von der klaren Nachtluft, die Weite des irischen Moors zu ihren Füßen. Sie keuchte gequält, von einer giftigen Wolke eingehüllt, die sie immer schwächer werden ließ. Franz Leopold, wie er in Rom zum ersten Mal ihre Hand berührte, ein Brunnenschacht und ein Eisengitter, hinter dem der Vampirjäger sie eingeschlossen hatte. Der Ort verwandelte
sich, der Vampir blieb derselbe. Franz Leopold küsste sie auf dem nächtlichen Friedhof. Ein Mann betrat denselben Friedhof. Bram Stoker? Wieder der Ire, dieses Mal im schwarzen Frack im hellen Schein zahlreicher Lüster. Die Erinnerung war neu. Nur wenige Nächte alt. In der Oper. Was sagte er da? Er sprach von Latona und ihrem Onkel, dem Vampirjäger Carmelo aus Rom.
    Ivy sprang so hastig auf die Füße, dass es ihr schwindelig wurde und sie schwankte. Den Gedanken jedoch hielt sie fest umklammert. Das war es! Dort würde sie eine Antwort finden. Sie eilte auf die Treppe zu und rannte die Stufen hinauf. Oben angekommen hielt sie unvermittelt inne. Sie hatte eines vergessen. Sie wusste ja gar nicht, wo sich Bram Stoker aufhielt. Sie hatten nicht darüber gesprochen, in welchem Hotel er abgestiegen war - oder wohnte er gar bei einem Bekannten?
    Ivy stöhnte und griff sich an die Stirn, hinter der es schmerzhaft zu pochen begann. Das durfte nicht wahr sein! Sie war so nah dran und sollte nun scheitern? Langsam ging sie weiter. Ihre Schritte waren kraftlos. Ivy blieb unter dem Torbogen zur großen Halle stehen und ließ den Blick über die vielen Vampire wandern, die sich hier versammelt hatten und die sie vielleicht retten könnte, hätte sie Bram Stoker nach seiner Adresse gefragt! Es war so absurd, dass sie ein Lachen unterdrücken musste. Ein Lachen, aus Verzweiflung geboren, denn die Lage hielt nichts mehr Heiteres bereit.
    Ivy sah zu ihren Freunden hinüber, die noch immer über den Seiten brüteten. Sie würden nicht aufgeben, auch wenn all ihre Anstrengung vergebens war. Ihr Blick wanderte weiter, bis er an Malcolm hängen blieb, der etwas abseits saß, in Gedanken weit, weit weg. Aber natürlich! Warum war sie nicht gleich darauf gekommen! Nun war es ein Lachen der Erleichterung. Sie lief zu Malcolm hinüber und ließ sich neben ihn auf seinen Sarg fallen. Er wandte sich ihr zu und sah sie überrascht an.
    »Was gibt es?«, fragte er verwundert.
    »Etwas sehr, sehr Wichtiges, bei dem nur du uns helfen kannst.«

    »Ihre Ergebnisse sind beeindruckend«, sagte Alfred Girard, der Zoologe, der sich an Carmelos Seite begab. »Ich muss Ihnen danken. Sie haben mir eine bis dahin unbekannte Welt gezeigt.«
    »Und eine Gefahr, von der wir bisher nichts wussten«, fügte der Chemiker Marcelin ein wenig missmutig hinzu.
    Ehe Carmelo etwas antworten konnte, sprang ihm der junge Höhlenforscher Martel bei. »So können Sie das nicht sagen, Pierre. Monsieur Carmelo hat die Gefahr ja nicht über uns gebracht. Sie haust vielleicht schon seit Jahrhunderten im Untergrund von Paris. Er hat lediglich unsere Aufmerksamkeit auf sie gelenkt und uns einen Weg aufgezeigt, ihrer Herr zu werden.«
    »Was er sich prächtig bezahlen lässt«, murrte Marcelin leise. »Haben wir bisher nicht auch so ganz gut gelebt?«
    Alain Viré stieß einen ärgerlichen Laut aus. »Was sind Sie? Ein Wissenschaftler jedenfalls nicht, wenn Sie die Unwissenheit vorziehen. Oder beschränkt sich Ihr Forscherdrang allein auf den Mikrokosmos Ihrer Arbeit? Ja, Sie hat es nicht betroffen, aber denken Sie an die vielen Menschen, die diesen Blutsaugern zum Opfer gefallen sind und es jede weitere Nacht noch tun. Das betrifft Sie nicht? Weil die Vampire ihre Opfer vornehmlich unter den Armen und Ausgestoßenen suchen, die man nicht vermisst? Wie praktisch für mich und Sie und uns alle hier! Und außerdem ist es ja nicht Ihr Geld. Die Regierung ist durchaus an dieser Säuberung des Untergrunds interessiert.«
    Der junge Martel legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Reg dich nicht auf, Alain. Es lohnt nicht. Lass uns lieber sehen, dass wir diese Experimente zu einem

Weitere Kostenlose Bücher