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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Schlüssellöcher zu gleiten. Diese Fähigkeit haben die Pyras schon lange verloren.«
    Er setzte seinen Weg fort. Latona nahm die Lampe und folgte ihm mit einigen Schritten Abstand. Plötzlich hielt er inne.
    »Still!« Latona erstarrte. »Hörst du das nicht?« Sie schüttelte tonlos den Kopf.
    »Menschenohren!«, sagte er verächtlich. »Man fragt sich, wozu ihr sie überhaupt habt, wenn ihr doch nichts hört. Da kommt jemand! Sechs oder sieben Menschen - Männer, um genau zu sein. Wie konnte ich das vergessen. Es ist die Zeit der Folterknechte«, sagte er bitter.
    »Kommen wir noch hinaus?«, flüsterte Latona panisch. »Der Gang dahinter ist ziemlich lang und zu beiden Seiten gibt es nur verschlossene Türen oder Räume ohne Fenster. Wir sind hier in einem Keller unter der Erde.«
    »Ich weiß«, sagte der Vampir ruhig. »Geh dort rein, mach das Licht aus und rühr dich nicht!« Er selbst schlüpfte durch die Tür schräg gegenüber. Latona gehorchte, ließ aber einen Spalt, sodass sie auf den Gang hinauslugen konnte. Zunächst sah sie in der Finsternis gar nichts. Die Anspannung trieb ihr den Schweiß auf die Stirn und ihre Nackenhaare richteten sich auf.

ENDLICH FREI!
    Ivy klappte das letzte Buch ihres Stapels zu und erhob sich. Die andern waren noch so in ihre Lektüre vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie Ivy wegging. Nur Seymour heftete sich an ihre Fersen. Die Lycana stieg in die Höhle der Servienten, in der nur noch ein paar vereinzelte Särge standen. Deren Eigentümer allerdings waren nicht zu sehen. Sie hielten sich vermutlich oben bei ihren Schützlingen auf. Ivy war froh darüber. Da war so eine Ahnung, die sie nicht greifen konnte, und dennoch war sie sich sicher, dass es den Servienten guttat, oben in der großen Halle bei den Erben und den Pyras zu sein. So als könne die Krankheit ihnen nichts anhaben, solange sie alle zusammen waren. Das war Unsinn - oder doch nicht? Erklären konnte sie es jedenfalls nicht.
    Ivy folgte dem kurzen Gang zu der gewendelten Treppe, die sie bis ganz nach unten führte. Wo sich noch vor wenigen Nächten ein Sarg an den anderen gereiht hatte - einige davon prächtig mit kunstvollen Verzierungen, den Altehrwürdigen der Pyras angemessen -, empfing sie nun eine leere Kalksteinkaverne, in der nur noch zwei vergessene Särge standen. Sie schienen fast so schnell zerfallen zu wollen wie die, die in ihnen geruht hatten. Vielleicht waren es gerade diese einfachen, vermoderten Särge in der weiten Höhle, die die Atmosphäre von Traurigkeit ausmachten. Ivy ließ sich mitten in der Kaverne auf den Boden sinken und zog die Beine unter den Körper. So saß sie da, die Augen geschlossen, und ließ ihren Geist wandern. Hier hatte es begonnen. Tod und Vernichtung. Sie konnte es spüren. Die Steine schienen den Verfall aufgesogen zu haben und nach und nach wieder auszuatmen.
    Waren die Pyras dem Untergang geweiht und ihre Besucher mit ihnen? Sollten sie das Schuljahr vorzeitig beenden und zu ihren eigenen Familien zurückkehren? Die Erben würden sich in Sicherheit bringen
und die Pyras ihrem Schicksal überlassen. Die Zeit würde zeigen, ob sie weiter existieren könnten oder für immer verloren waren.
    Die Oberhäupter der Clans würden diese Entscheidung begrüßen und doch breitete sich ein bitterer Geschmack in Ivys Mund aus. Ihr Brustkorb hob und senkte sich aus Gewohnheit, doch sie hatte das unsinnige Gefühl, ersticken zu müssen. Seymour an ihrer Seite begann zu winseln. Es klang so kläglich, dass Ivy alarmiert die Augen aufriss. Seine Gedanken erreichten sie nur noch in wirren Wortfetzen.
    »Was ist mit dir?« Er antwortete nicht. Die Atmosphäre der Höhle schien ihm noch mehr zuzusetzen als ihr.
    »Geh hinauf und leg dich zu den anderen«, gebot sie ihm. »Ich komme gleich nach. Ich muss nachdenken. Ich habe das Gefühl, dort in den Tiefen ist etwas verborgen, das ich aber einfach nicht fassen kann. Geh! Ich folge dir, sobald es mir gelingt, der Erinnerung habhaft zu werden.«
    Erst als Ivy es aussprach, wurde ihr klar, dass das, was sie so verzweifelt suchte, tatsächlich eine Erinnerung war. Irgendjemand hatte etwas gesagt, es war noch gar nicht so lange her, sie hatte es in dem Moment nicht für wichtig gehalten und nicht weiter nachgefragt, sodass ihr das Wissen fehlte, das sie jetzt so dringend benötigte.
    Seymour erhob sich schwerfällig und trottete auf die Treppe zu. Er schwankte und seine Hinterläufe knickten zweimal weg. Der Anblick schmerzte Ivy, doch

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