Die Erben der Nacht - Pyras
selbst nach dem Hammer und schlug so unvermittelt zu, dass Seymour einen Satz machte. Ein Dröhnen ließ das Haus erbeben. Die Tür hielt stand. Noch!
Seymour rannte wieder nach oben. Er stieß gegen Ivys Sarg und versuchte, sie aus ihrer Todesstarre zu erwecken. Vergeblich. Sie hatte zwar im Laufe der Jahrzehnte gelernt, dem Schlafdrang nach Sonnenaufgang - zumindest für eine Weile - zu widerstehen, war sie aber erst einmal in ihre Starre verfallen, konnte nur das Untergehen der Sonne sie wieder davon erlösen. Seymour gab es auf. Wieder ließ ein Hammerschlag das Haus erzittern. Ein Dröhnen stieg von der Halle bis unter das Dach auf. Die Fensterscheiben klirrten. Seymour
wartete auf den nächsten Schlag. Auf das Knirschen von berstendem Holz, auf das Brechen des Riegels, doch es blieb still. Der Wolf nahm seinen Beobachtungsposten am Fenster wieder ein. Die Männer hatten sich um den Vorarbeiter geschart und sprachen auf ihn ein. Er war sichtlich erzürnt. Ein paar der Männer hatten die Hämmer beiseitegelegt und die Arme trotzig vor der breiten Brust verschränkt. Sie wirkten verunsichert, ja ängstlich. Ganz so unwirksam schien der Schutz der Vamalia nicht zu sein. Dennoch, die Gefahr war noch nicht gebannt. Die Sonne stand hoch am Himmel, und bis sie im alten Land versank, konnte viel geschehen.
Seymour sah, wie der Vorarbeiter sich bemühte, die Männer zu überzeugen, wieder an die Arbeit zu gehen, vergeblich. Er selbst wagte ebenfalls nicht, noch einmal den Hammer in die Hand zu nehmen. Seymour konnte in seiner Miene ablesen, wie er frustriert aufgab. Er hob die Arme und ließ sie kraftlos wieder fallen. Er rief etwas. Die Männer jubelten und sprangen auf die Wagen. Die Erleichterung stieg wie eine Wolke von ihnen auf und löste sich dann in der warmen Herbstluft auf. Als die Wagen davonrollten, stieß Seymour ebenfalls einen Laut der Erleichterung aus. Sie hatten Zeit gewonnen! Wie viel Zeit?
Die nächste Stunde lief er unruhig die Korridore auf und ab, die Treppe bis in die Halle hinunter und dann wieder bis zum höchsten der ehemaligen Speicherböden hinauf, wo die Särge der Erben standen. Immer wieder starrte er zu einem der Fenster hinaus, doch auf der Straße draußen blieb es ruhig. Kein Lebewesen war zu sehen. Nicht einmal ein streunender Hund. Langsam begann sich Seymour zu entspannen und legte sich wieder auf Ivys Sarg. Noch eine Stunde verstrich. Dann erklangen ein fernes Knarren und Klappern. Seymours Ohren begannen zu spielen, sein Schwanz zuckte. Er konnte das Geräusch nicht zuordnen. Ein Wagen? Vielleicht, doch keiner wie die anderen, die am Morgen da gewesen waren. Das Geräusch kam näher. Nun konnte er auch die Karren wieder hören und dann die Stimmen der Männer.
Zu früh, dachte er, sie sind zu früh. Die Sonne würde erst in drei Stunden untergehen. Er hetzte nach unten und nahm seinen Platz
hinter dem vergitterten Fenster der Küche ein, um die Quelle des seltsamen Geräusches zu betrachten. Es wurde lauter. Viel lauter, sodass es die Männer und Wagen übertönte. Was zur Hölle kam da auf sie zu?
Seymour presste seine Schnauze gegen die Scheibe. So etwas hatte er noch nie gesehen. Ein Ungetüm aus Holz und Stahl. Hoch wie ein Turm rollte es langsam, aber unerbittlich näher. An seinem stählernen Arm war ein kräftiges Tau befestigt, von dem eine riesige Eisenbirne herabhing. Der Wolf begriff, was die Männer im Schilde führten. Wenn sie es nicht schafften, die Türen und Mauern mit Muskelkraft niederzureißen, dann würden sie sich eben dieses Monsters bedienen. Der Koloss aus Eisen kannte keine Angst. Der Mann, der die vier Pferde lenkte, und die anderen, die die Eisenbirne an Seilen in Position zogen, waren zu weit weg, als dass der Bann der Vamalia ihren Geist erreichen und die Furcht sie in die Knie hätte zwingen können. Seymour wusste, nun war es Zeit zu handeln. Auf Versprechen, die er Ivy gegeben hatte, konnte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er rannte in die Halle und begann, sich zu wandeln. Er brauchte dafür nur wenige Augenblicke, doch als er sich in seiner menschlichen Gestalt erhob, erbebte das Haus. Mörtel, Ziegelbruchstücke und Holzsplitter flogen ihm um den Kopf. Licht flutete durch das Loch, das die Eisenbirne geschlagen hatte. Ein Knacken breitete sich nach allen Seiten aus, dann sackte ein Großteil der vorderen Wand in sich zusammen. Er griff nach dem Umhang, der auf der Truhe lag, und warf ihn sich über. Seymour schüttelte sich die
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