Die Erben der Nacht - Pyras
Tages zu berichten.
DIE FRANZÖSISCHE FREGATTE
»Was?«, rief Luciano ungläubig und rieb sich die Ohren, als könnte er es nicht fassen, was Ivy ihnen gerade berichtet hatte. »Das hat Seymour dir eben gesagt?«
Alisa sah zu Hindrik, der mit seltsam starrer Miene unter der Tür stand. »Ist das wahr?« Er nickte ruckartig, so als litte er Schmerzen.
Alisa rannte zur Tür. Die anderen folgten ihr. Auf der Treppe gab es ein Gedränge von Vamalia, Servienten und den Erben, die alle in die Halle hinuntereilten, um das Unfassbare zu betrachten.
Franz Leopold gesellte sich zu Ivy und raunte ihr zu: »Seymour hat mit den Arbeitern verhandelt? Hat er sie ins Bein gebissen oder ihnen etwas vorgejault?«
»Nein, natürlich nicht!«, wehrte sie ab.
»Er hat sich doch nicht etwa in seiner menschlichen Gestalt gezeigt?«, bohrte der Dracas weiter. »Ich dachte, das hättest du ihm allerstrengstens verboten?«
Ivy war nicht nach scherzen zumute. »Ich habe ihm gar nichts verboten. Wie könnte ich? Er ist mein Bruder, nicht mein Sklave. Wir waren beide zu der Erkenntnis gekommen, dass er, um seine Tarnung zu wahren, stets seine Wolfsgestalt beibehalten sollte. Dies war eine Ausnahmesituation, die außergewöhnliche Maßnahmen erforderte. Sei froh, dass er sich über diese Abmachung hinweggesetzt hat, sonst lägen wir jetzt noch in unseren Särgen, unter Tonnen von Schutt begraben.«
»Ach, die Männer des Abrisskommandos hätten sicher den ein oder anderen davon entdeckt und neugierig ans Licht gezerrt.« Franz Leopold zog eine Grimasse.
Alisa schauderte. »Und die Särge dann geöffnet. Bei allen Dämonen der Nacht, es hat nicht viel gefehlt! Wir alle müssen Seymour dankbar sein.«
Sie blieben auf der letzten Treppenbiegung stehen und starrten auf das Loch in der Wand. Wobei Loch die Sache nicht recht traf. Es war eher so, dass die Wand zur Straße hin bis auf ein paar Reste fehlte.
Luciano öffnete und schloss fassungslos den Mund. Endlich murmelte er: »Ich hätte mir ja vieles vorstellen können, was wir hier in Hamburg bei den Vamalia erleben, so etwas gehört allerdings ganz sicher nicht dazu.«
Franz Leopold lächelte liebenswürdig. »Nicht wahr? Ich sage es ja nicht gern, doch in Rom haben es die Nosferas wenigstens verstanden, ihr Domizil zu schützen. Wenn auch Clanmitglieder herumliefen, die andere Nosferas an Vampirjäger verkauften …« Luciano fauchte wütend. Doch Franz Leopold fuhr ungerührt fort. »In Irland dann waren wir gezwungen, aus der Burg der Lycana zu fliehen, da sich unsere Gastgeber lieber von einer Handvoll Angreifer durch das Land jagen ließen, als sich ihnen zu stellen und gegen sie zu kämpfen. Das hier jedoch übertrifft alles! Ich will gar nicht wissen, was Baron Maximilian und Baronesse Antonia zu diesem Desaster sagen, wenn es ihnen zu Ohren kommt. Die große Familie der Vamalia, die sich so viel auf ihr Wissen über die Menschen einbildet! Vielleicht hätten sie besser daran getan, sich mehr auf die Stärken unserer Spezies zu konzentrieren und ihre magischen Vampirkräfte zu fördern? Wozu diese Menschenhörigkeit führt, bekommen wir nun anschaulich demonstriert.« Er deutete mit einer betont schwungvollen Geste auf das riesige Loch.
»Ach, halt den Mund«, fuhr ihn Alisa an. »Das hätte keiner voraussehen können.«
»Doch, ich hätte es sehen müssen«, widersprach Hindrik bedrückt. »Ich hatte die Aufgabe, mir die Pläne zu besorgen und festzustellen, welche baulichen Maßnahmen die Menschen ergreifen werden. Wir waren rechtzeitig gewarnt. Wir wussten, dass die Menschen etwas vorhaben, und wiegten uns dennoch in Sicherheit, bis es zu spät war.«
»Aber wenn du die Pläne gesehen hast, wieso hast du Dame Elina nichts davon gesagt?«, fragte Alisa vorsichtig.
»Dort waren Berge von Papieren und Zeichnungen«, rief Hindrik.
»Ich habe Zeichnungen der Speicherbauten gesehen, die sie planen, Schnitte und Aufrisse, dann Skizzen der Kanäle und Fleete, Brücken, Kaianlagen und auch etliche Karten mit den Häusern, die dafür abgerissen werden würden. Wir wussten, ganze Viertel würden fallen, doch in den Karten, die ich gefunden habe, blieb die Reihe der Barockhäuser dem Binnenhafen zu stets unberührt. Mag sein, dass mir die neusten Pläne entgangen sind. Vielleicht wurden sie anderswo aufbewahrt oder waren zur Genehmigung zu einer anderen Behörde unterwegs. Ich kann es nicht sagen. Jedenfalls hätte diese Nachlässigkeit furchtbare Folgen haben können.« Er
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