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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sie endlich den Mut dazu aufbringen konnte.
    »Hm?«
    »Was hast du mit Professor van Helsing besprochen?«
    »Erwartest du, dass ich nun die Gespräche von einer Woche wiedergebe? Außerdem warst du dabei und hast sicher einiges mitbekommen.«
    Latona wollte nicht zugeben, dass sie zwar vieles gehört, aber wenig verstanden hatte. »Ich meine, was sollst du ihm schreiben?«
    Ihr Onkel hob nur die Schultern und vertiefte sich wieder in das Buch, das der Professor ihm gegeben hatte. Latona holte tief Luft.
    »Du hast doch nicht vor, den Schwur zu brechen, den du gegeben hast?«
    Carmelo sah nicht einmal von seinem Buch auf. »Schwüre sind dazu da, dass man sie hält, sonst sollte man sie nicht leisten.«
    Obwohl die Worte sie hätten beruhigen sollen, blieb ein ungutes Gefühl zurück. Latona lehnte sich in die Kissen. Draußen wurde es dunkel und von der Landschaft war bald nichts mehr zu sehen. Sie schloss die Lider. Während sie dem Schlaf entgegendämmerte, stieg sein Bild immer klarer vor ihr auf. Sie sah ihn so deutlich, dass sie meinte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um seine kalte Wange zu berühren. Er sah sie an. Das Blau seiner Augen leuchtete wie ein Sommerhimmel, den sie nie zu sehen bekommen würden. Wusste er, dass seine Augen die gleiche Farbe hatten, und dass sie seit ihrem ersten Treffen keinen klaren Himmel mehr betrachten konnte, ohne an ihn zu denken?
    Sie würde es ihm erzählen, wenn sie sich wiedersahen.
    Der Gedanke war so absurd, dass es sie wunderte, wie sehr er sie
schmerzte. Natürlich würde sie ihn nicht wiedersehen. Es war zu Ende, und sie konnte sich froh schätzen, lebend und mit heilem Hals davongekommen zu sein! Und doch wollte in dieser Stunde sein Bild nicht weichen. Sie hatte lange nicht mehr so intensiv an ihn gedacht.
    »Malcolm«, flüsterte Latona schläfrig.
    Vielleicht ahnte ein Teil ihres Geistes, wie nahe sie ihm in diesem Augenblick war.

    Der Zug ratterte durch die Nacht. Franz Leopold lag auf dem Rücken in seinem Sarg, die Hände über der Brust gefaltet, und fühlte sich schrecklich. Der Blutdurst war dabei sogar das kleinere Übel. Er langweilte sich! Als er die lange Bahnreise nach Hamburg antrat, hatte er zum Glück nicht geahnt, dass er so schnell wieder auf den Schienen durchgerüttelt werden würde. Wo sie sich wohl gerade befanden? Er versuchte zu erspüren, wie stark es bergauf oder bergab ging und in welche Himmelsrichtung sie fuhren. Er sog die Luft ein und schmeckte sie auf der Suche nach speziellen Aromen, die ihm einen Hinweis hätten geben können. Es war nichts Aufregendes dabei. Landluft, ein paar Kühe, abgeerntete Felder, Heu auf den Wiesen, dann ein Fluss und eine kleine Stadt, in der der Zug einige Minuten anhielt. Stockend setzten sich die Räder wieder in Bewegung, fanden jedoch bald zu ihrem schnellen, eintönigen Lauf zurück. Wie lange noch? Franz Leopold ließ seine Gedanken wandern. Links neben ihm ruhte Alisa. Er konnte fühlen, dass sie noch nervöser war als er. Sie klopfte ungeduldig mit den Zehen gegen die Sargwand. Er drang in ihre Gedanken ein und war überrascht, auf französische Worte zu stoßen. Franz Leopold brauchte einige Augenblicke, bis er verstand. Ah, sie sprach Übungen und sammelte Vokabeln, die sie in Paris vielleicht brauchen könnte. Das war wieder einmal typisch Alisa. Der Dracas konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie ein wenig zu necken.
    Schülerin Alisa, das ist schon ganz nett, aber an deiner Aussprache musst du noch arbeiten. Die Nasale sind einfach nur fürchterlich zu nennen! Es klingt noch sehr deutsch.

    »Franz Leopold!«, hörte er ihre erboste Stimme durch die Sargwände dringen. »Verschwinde und halte dich von meinem Geist fern!«
    Ich wollte dir bei deinen Übungen ja nur ein wenig hilfreich unter die Arme greifen, sandte er in Gedanken und ließ sein Lachen in ihren Geist gleiten.
    Alisas Zorn war so groß, dass es ihr gelang, ihn hinauszuwerfen und ihr Bewusstsein vor ihm zu verschließen. Franz Leopold ließ von ihr ab und sandte seine Gedanken einen Sarg weiter. Ah, da lag der Nosferas und döste vor sich hin, obwohl die Nacht seit Stunden hereingebrochen war. So etwas wie Ungeduld schien er nicht zu kennen, und es machte ihm auch nichts aus, die Nacht über eingesperrt zu sein, und dennoch fühlte er sich unwohl. Der Blutdurst meldete sich und nagte schmerzhaft an seinen Eingeweiden. Luciano stieß ein unterdrücktes Stöhnen aus. Franz Leopold ahnte, dass er in den nächsten Stunden

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