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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Wasserlauf. Der schmale Weg mündete in einen breiteren, hinter dem sich nach rechts und links verschieden hohe Gebäude reihten. Direkt neben ihr erstreckte sich eine Reihe von Volieren, hinter deren Gittern verschiedene farbige Papageien saßen. Ein großer grüner Papagei protestierte verschlafen. Doch wo war ihr Onkel?
    Nichts regte sich. Verflucht! Sie hatte zu viel Abstand gelassen und nun war er ihr entwischt. Latona trat an das nächste Gebäude heran
und drückte die Klinke der Tür herunter, aber sie war verschlossen. Reptiles, las sie auf einem Schild. Ohne viel Hoffnung ging sie zum nächsten Haus, das anscheinend Labore und andere Räumlichkeiten beherbergte, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Jedenfalls sagten dies die Verbotsschilder. Sie versuchte ihr Glück gerade an einer dritten Tür, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Latona fuhr herum. Zwei Männer umrundeten die Papageienkäfige. Hektisch sah sich Latona nach einem Versteck um. Es gab nichts. Nur ein paar niedere Büsche und die glatte Hauswand. So blieb sie wie versteinert stehen. Vielleicht übersahen sie sie in dem trüben Licht. Sie ließ die beiden nicht aus den Augen. Waren sie aus dem gleichen Grund hier wie ihr Onkel? Traf sich hier eine Verschwörergruppe ähnlich der in Rom? Wenn ja, was war ihr Ziel? Vielleicht hatte sie Glück, und die beiden führten sie zum Treffpunkt, nachdem sie Carmelo dummerweise aus den Augen verloren hatte.
    Die beiden blieben stehen und sahen sich suchend um, dann wandten sie sich nach rechts und traten auf den Weg hinaus. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und beleuchtete ihre Gesichter. Sie kamen Latona seltsam bekannt vor. Hatte sie die beiden nicht schon vor einem Schaufenster auf dem Boulevard Saint Germain gesehen und dann bei der Sorbonne? Auch da hatten sie sich lässig gegeben, als würden sie keine Eile kennen, sich zurückgelehnt und zum Turm mit der Kuppel hinaufgesehen.
    Hatten diese Männer wirklich dasselbe Ziel wie Carmelo oder waren sie, wie Latona, auf einer Verfolgungsjagd? Aber welches Interesse könnten sie an ihrem Onkel haben?
    Etwas streifte ihre Sinne. Es war kein Geräusch und auch kein Geruch, aber es erschütterte sie so, dass sie die beiden Männer vergaß, ja selbst ihren Onkel und warum sie hier war. Ein Prickeln lief wie eine Welle über ihren Körper. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Ihre Pupillen zuckten unruhig. Latonas Blick huschte über Büsche, Bäume und die Volieren, die mit dem dahinter aufragenden Felsen zu verschmelzen schienen, sie konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. Und dennoch war da etwas in der Nacht. Sie wusste es, auch wenn sie es nicht greifen konnte. Ein Stöhnen zog sich in ihrer
Kehle zusammen, das sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Sie legte sich die Hand auf die Lippen, die zu brennen schienen.
    »Verzeihen Sie, Mademoiselle, dass wir Sie ansprechen …«
    Latona stieß einen Schrei aus und machte einen Satz zur Seite. Sie war so abgelenkt gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie die beiden Männer sich ihr genähert hatten.
    Der Erste hob abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück.
    »Beruhigen Sie sich, wir wollen Ihnen ganz bestimmt nichts Böses! Wir haben uns mit den besten Absichten genähert«, suchte der andere sie zu beschwichtigen, hob seinen Hut und verbeugte sich. »Mein Name ist Bram Stoker, und das hier ist mein Freund Oscar Wilde, beide aus Irland und auf Reisen hier in Paris.«
    Latona ließ ihren Blick abschätzend über die beiden Männer huschen. Sie waren gut gekleidet und ihre Gesichter strahlten Offenheit aus. Der, den sein Freund als Oscar Wilde vorgestellt hatte, war größer und massiger, mit dunklem Haar und einem seltsam intensiven Blick unter den schweren Lidern. Er war nicht wirklich schön, hatte aber etwas Faszinierendes. Der andere, Bram Stoker, war schlanker, athletischer und wirkte ernsthaft und grundehrlich. Nein, vermutlich musste sie sich vor ihnen nicht fürchten.
    »Latona Canning«, stellte sie sich kurz vor. »Was wünschen die Herren?«, fragte sie auf Englisch.
    »Verzeihen Sie, dass wir Sie so einfach ansprechen, Miss«, antwortete Bram Stoker, »aber mein Freund und ich kamen zu der Erkenntnis, dass ein Fräulein wie Sie um diese Zeit nicht alleine durch Paris streifen sollte - und auch der einsame Park ist zu dieser Stunde sicher nicht der rechte Platz.«
    »Ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht«, erwiderte Latona schroff.
    »Da gebe ich Ihnen

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