Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
gemeinsam mit den anderen am Temple Inn Court ein. Der Himmel verblasste bereits. Die Sonne würde bald aufgehen. Doch das war für die Erben nun kein Problem mehr. Zumindest solange sich die Sonne hinter dichten Wolken verbarg. Dennoch hatten sie ihre Verfolgung abgebrochen.
» Ihr habt ihn nicht gekriegt?«, wunderte sich Leo. » Alisa, was ist mit dir? Oder willst du uns nur nicht verraten, dass du ihm die Kehle herausgebissen und sein Blut getrunken hast?« Leo beugte sich vor und schnüffelte an Alisa.
» Red kein Unsinn«, gab sie barsch zurück. Es ärgerte sie, dass ihnen der Mörder entkommen war, obgleich er nur wenige Minuten Vorsprung gehabt hatte.
» Wie ist das möglich?« Leo ließ nicht locker. Dieses Mal wandte er sich an Tammo, der sich ebenfalls zurückgewandelt hatte. Der Vamalia zuckte mit den Schultern.
» Ganz einfach. Er ist in den Pferdeomnibus gestiegen und davongefahren. Nicht dass wir nicht in der Lagen wären, in unserer Wolfsgestalt selbst einen Vierspänner im Galopp einzuholen, doch er war schon abgefahren, als wir die Stelle erreichten, wo er eingestiegen ist.«
» Dann hättet ihr der Witterung der Pferde folgen müssen«, gab Leo ungerührt zurück.
» Das sind wir auch, bis sie auf der Hauptstraße in einer Flut von Gerüchen unterging«, entgegnete Alisa hitzig. » Selbst dir wäre es nicht gelungen, der Fährte weiter zu folgen.«
Leo hob die Schultern. » Schon möglich.«
Im Hof der Templerkirche trafen sie Ivy, die Latona überrascht ansah. Diese erwiderte ein wenig trotzig den Blick.
» Da bist du also«, sagte Ivy nach einer Weile und seufzte.
» Ja, da bin ich«, gab Latona zurück. Sie reckte das Kinn, doch Ivy schüttelte nur bedauernd den Kopf.
» Es hat dir zu lange gedauert… Ja, das habe ich befürchtet. Aber du hättest wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können, um nach London zu kommen.«
Luciano nickte zustimmend. » Ja, sie ist heute Nacht beinahe dem Mörder von Whitechapel in die Hände gefallen.« Doch Alisa war sich sicher, dass Ivy bei ihren Worten nicht an den Mörder gedacht hatte. Woran aber dann? Warum war dies ein schlechter Zeitpunkt? Neugierig starrte sie Ivy an, die noch immer den Kopf schüttelte.
» Warum hast du nicht wenigstens bis Weihnachten gewartet?«, sagte sie mehr zu sich selbst.
» Was ist an Weihnachten anders?«, platzte Alisa heraus. Es ging um das große Geheimnis, das Ivy schon seit dem Herbst mit sich herumtrug– da war sie sich sicher–, aber sie war noch immer nicht bereit, es mit ihren Freunden zu teilen. Wieder bekam Alisa nur ein Schulterzucken. Wenn es ihr doch nur gelingen würde, in ihren Gedanken zu lesen!
Vergiss es!, riet Leo und zog eine Grimasse. Das ist nicht einmal mir gelungen, und ich kann wohl mit Recht behaupten, ein Meister dieses Fachs zu sein.
Ivy wandte sich von Latona zu Malcolm. » Hast du vor, sie gleich zu wandeln?«, fragte sie so leise, dass Latona es nicht hören konnte. Alisas feinem Gehör jedoch entgingen die Worte nicht, und da sie neugierig auf Malcolms Pläne war, lauschte sie aufmerksam.
Malcolm schien unentschlossen. » Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Ich gebe ihr so viel Zeit, wie sie braucht. Ich werde sie zu nichts überreden und sie nicht drängen!«
Ivy stieß einen ärgerlichen Laut aus. Für einen Wimpernschlag war ihr deutlich Unmut anzusehen, dann glättete sich ihr Gesicht wieder und nahm den freundlich neutralen Ausdruck an, den sie so häufig zur Schau trug. Alisa fragte sich plötzlich, ob er jemals ihren wirklichen Gemütszustand widerspiegelte, oder ob er zumeist etwas ganz anderes verbarg, das sie nicht einmal ahnten. Kannte einer von ihnen auch nur einen kleinen Teil von Ivy?
Sie fühlte sich plötzlich traurig und leer. Ivy hob den Blick und richtete ihre türkisfarbenen Augen auf Alisa. Wie üblich schien sie bis in ihr tiefstes Inneres blicken zu können. Wie ungerecht! Ihren Freunden gelang es nicht einmal, das kleinste Geheimnis vor ihr zu verbergen.
Ach, Alisa, das ist es nicht allein, was Freundschaft ausmacht. Glaube mir, nur zu gerne wäre ich wie ihr und würde alle Gedanken mit euch teilen. Wenn du wüsstest, wie oft ich mich danach sehne, nur die kleine Vampirin zu sein, die ich auf den ersten Blick zu sein scheine. Doch das Schicksal hat mir eine andere Aufgabe zugeteilt, der ich mich stellen muss, ob mir das nun gefällt oder nicht. Manches Mal muss man für das große Ganze Opfer bringen.
Alisa antwortete ihr in ihren
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