Die Erben der Schwarzen Flagge
verdammten Seeräuber zuvor. Ich habe es satt, tatenlos zusehen zu müssen, wie Ladung um Ladung in ihren gierigen Rachen verschwindet. Hinter meinem Rücken lacht man bereits über mich. Es heißt, Carlos de Navarro könne nicht für die Sicherheit des königlichen Silbers sorgen.«
»A-aber nein, Exzellenz«, beeilte sich der Offizier zu beteuern. »Niemand würde es wagen, dergleichen zu behaupten. Jeder weiß, dass Ihr alles unternehmt, um der Bedrohung durch die Piraten Einhalt zu gebieten.«
»So ist es«, erwiderte der Graf entschlossen, »und deshalb werde ich von heute an mein ganzes Streben darauf verwenden, ihrem Treiben ein Ende zu setzen. Ich schwöre Euch, Capitán – ichwerde nicht eher ruhen, bis jeder einzelne von diesen ruchlosen Räubern entweder am Galgen hängt oder in meinen Dschungelminen schuftet und seine frevlerischen Taten gebüßt hat. Und ich erwarte, dass Ihr und Eure Leute mir dabei helft. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Capitán?«
Elena biss sich auf die Lippen. Sie hatte gewusst, dass ihr Vater streng und entschlossen handeln konnte, aber noch nie zuvor hatte sie ihn in solchem Zorn sprechen hören. Unverhohlene Drohung lag in seinen Worten und Blicken, entsprechend kleinlaut fiel die Antwort des Capitán aus.
»Natürlich, Exzellenz«, versicherte der Offizier. »Ihr könnt auf unsere Unterstützung zählen.«
»Gut. Ich erwarte, dass Ihr die Verbrecher ausfindig macht, die für die Versenkung der San Felipe und den Mord an der Besatzung verantwortlich waren. Findet sie und bringt sie hierher nach Maracaibo. Ich werde an diesen Hunden ein Exempel statuieren, das sich ins Gedächtnis jedes einzelnen Piraten einbrennen wird, von hier bis hinauf nach Hispaniola. Und wagt es nicht, mir wieder mit Ausflüchten zu kommen, Capitán. Diesmal will ich Ergebnisse sehen – oder ich sorge dafür, dass Ihr Eure Laufbahn in der Armada als sargento 5 fortsetzen könnt. Habt Ihr mich verstanden?«
»Natürlich, Exzellenz.«
»Dann seid Ihr entlassen, Capitán. Aber verliert keine Zeit, meine Anweisung auszuführen. Ich habe einen Ruf zu verlieren, und ich will nicht, dass meine Tochter mich für einen Schwächling hält, der nicht einmal in der Lage ist, in seiner eigenen Provinz für Sicherheit zu sorgen. Ich werde nicht …«
Den Rest dessen, was ihr Vater sagte, bekam Elena nicht mehr mit. Aus Sorge, entdeckt zu werden, lief sie den Gang hinab undzog sich eilig in ihr Gemach zurück. Dort legte sie den Umhang ab, zog die Pantoffeln aus und bettete sich wieder zur Ruhe – Schlaf fand sie jedoch keinen mehr. Hellwach lag Elena in ihrem Bett, blickte zur Decke und dachte über das nach, was sie mit angehört hatte.
Ihr Vater hatte also mit Problemen zu kämpfen, die er bislang vor ihr verheimlicht hatte – sicher hatte er sie schonen wollen. Carlos de Navarro wollte wohl nicht, dass sich seine Tochter sorgte. Immerhin schienen gefährliche Piraten auf See ihr Unwesen zu treiben, und allem Anschein nach setzten sie dem Conde schwer zu. So ehrbar die Absicht ihres Vaters war, verspürte Elena darüber ein wenig Unmut. Sie war kein Kind mehr und alt genug, um die Wahrheit zu erfahren. Wenn es eine Bedrohung gab, dann wollte sie ihrem Vater helfen, sie abzuwehren – und vor ein paar ehrlosen Seeräubern, die sich am Hab und Gut anderer vergriffen, fürchtete sie sich ganz gewiss nicht.
Eines allerdings war Elena de Navarro klar geworden: dass dieser Ort doch nicht ganz so paradiesisch war, wie es ihr auf den ersten Blick erschienen war …
7.
D ie Sonne brannte vom Himmel und machte die Luft schwül und dampfig. Kein Windhauch regte sich, die Zeit auf der Seadragon schien stillzustehen. Wohin man auch blickte, war nichts zu sehen als die endlose Spiegelfläche der See.
Nie hätte Nick geglaubt, dass der Anblick der fernen Kimm ihn niederdrücken könnte. Aber auf einem Segelschifffestzusitzen, das ziellos im Wasser dümpelte und dessen Besatzung sich darauf beschränkte, unter Segeltuchbahnen zu liegen und Zuflucht vor der sengenden Sonne zu suchen, war beinahe so schlimm, wie gefangen zu sein.
Schon zwei Tage dauerte die Flaute an. Zweihundert Seemeilen nördlich der Moskitoküste hatte sie die Seadragon ereilt. Seither regte sich nichts mehr an Bord: Die Segel hingen schlaff an den Rahen, die Mannschaft hatte sich trägem Nichtstun ergeben.
Nicht, dass sich davor viel bewegt hätte.
Nicks Vermutung, unter einen Haufen besonders fauler Seeräuber geraten zu sein, hatte sich
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