Die Erben des Terrors (German Edition)
und drei Trauzeugen in schwarzen Smokings. Dreyer schwitzte etwas mehr, nur vom Anblick, und verpasste fast die zwanzig-Meter-Markierung an der ausrauschenden Kette. Die nächste bunte Markierung auf dem nach Herstellerangabe rostfreien Stahl (ha!) war grün und signalisierte fünfundzwanzig Meter, mehr als genug.
Während vom Festland her der Applaus der Hochzeitsgesellschaft herüberschallte, ging Dreyer zurück ins Cockpit und dachte an seine eigene Hochzeit zurück, wie schön seine Carolin ausgesehen hatte in dem prinzessinnenhaften, ausladenden Kleid, im Garten von Burg Wernberg.
Er unterdrückte eine Träne und legte den Rückwärtsgang ein, um den Anker festzufahren, und betätigte einen Knopf am GPS, um die Position zu markieren. Der Anker griff sofort, und nach einigen Sekunden mit mehr Gas – das Schiff bewegte sich nicht, sondern zurrte nur an der Ankerkette – schaltete er den Motor aus. Zwanzig vor fünf, vielleicht noch eine Stunde Tageslicht.
Dreyer ging unter Deck, um die Elektrik auszuschalten und nahm sich die fast leere Flasche Rum aus dem mittlerweile eiskalten Kühlfach. Während dem ganzen Hin- und Hermotoren im Hafen und hier auf dem Bojenfeld war der Kühlkompressor heute fast vier Stunden gelaufen, so viel wie normalerweise in drei Tagen nicht. Er sah sich kurz im Boot um und beschloss, erst am nächsten Tag klar Schiff zu machen, für heute reichte es ihm.
Über der backbordseitigen Sitzbank hing noch ein Stück gesalzener Fisch, die Reste eines Schleppangelfangs vor zwei Tagen. Dreyer dachte kurz und sehnsüchtig an das Steak, auf das er sich so gefreut hatte, nahm dann aber, weil er Hunger hatte, erst einmal den getrockneten Fisch und ging wieder an Deck. Das Bimini-Verdeck spendete kaum noch Schatten, da die Sonne schon sehr tief stand. Sie färbte sich langsam rot, sodass ein kleiner, genüsslicher Sundowner angebracht erschien. Er nahm einen Schluck Rum, direkt aus der Flasche, und biss in den Fisch.
Die Hochzeitsgesellschaft hatte sich, soweit er das auf die Entfernung erkennen konnte, in das über der Bucht auf Stelzen gebaute Restaurant zurückgezogen, um ausgiebig feiern zu können. Die hätten sicher Fleisch, dachte er, und biss lustlos in den salzigen Fisch, dessen Geschmack er mit dem hoffentlich schlechtesten Rum, den er in den nächsten Jahren trinken würde, hinunterspülte. Nein, heute muss Fleisch sein, beschloss er und nahm sein Handfunkgerät. Er schaltete es ein, Kanal 16, der internationale Ruf- und Notrufkanal war noch aktiviert, nichts zu hören. Mit ein bisschen Glück waren die Holländer, Floris und seine Frau, äh, die sicher auch einen Namen hatte, noch in Reichweite.
„Papa Delta Zero Echo Zulu, Papa Delta Zero Echo Zulu, Delta Kilo Two Niner Niner Seven“, sagte er in das Funkgerät. Einen Kilometer vom Stützpunkt der Küstenwache hält man dann nun doch wenigstens ein klein wenig Funkdisziplin und benutzt ordentliche Rufzeichen, erst das des Gesprächspartners, im Fall von Floris PD0EZ, zweimal, und dann das eigene, DK2997.
„ Delta Kilo Two Niner Niner Seven, Papa Delta Zero Echo Zulu, Channel 19“, sagte das Funkgerät. Sehr diszipliniert, lächelte Dreyer in sich hinein, Kanal 16 ist ein Notrufkanal, da redet man nicht einfach so rum. „Channel 19, Papa Delta Zero Echo Zulu, Out“, sprach er in das Gerät und betätigte den Senderumschalter dreimal. Würde sich der Funker der Küstenwache jetzt beschweren wollen, würden sie ihn zumindest nicht mehr hören.
„German Daniel“, setzte Floris die Unterhaltung auf Englisch fort, „was kann ich für dich tun?“
„Ich wollte nur fragen, wie du empfiehlst hier in Carlisle Bay – ist übrigens wirklich sehr schön, wenn auch etwas voll – an Land zu kommen? Ist denn mein Dinghy sicher?“, fragte Dreyer, dem erst mit dieser Frage klar wurde, dass es mindestens eine Stunde dauern würde, das auf dem Vordeck verzurrte Beiboot klarzumachen und den Motor, der hinter ihm an der Reling festgeschraubt war, in das Dinghy zu hieven, Benzin einzufüllen – er wollte gar nicht weiterdenken.
„Würde ich nicht machen, die guten Motoren werden dir sofort geklaut. R udern geht, vor allem, wenn dein Dinghy nicht mehr so perfekt aussieht, aber nach dem Atlantiktrip sollte das nicht das Problem sein.“, war Floris Antwort.
„Und Restaurant? Irgendwas kleines, eine Empfehlung?“
„Du siehst doch oben die alte Festung, tendenziell südlich von dir? Von da aus so zweihundert Meter den Strand entlang
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