Die Erben des Terrors (German Edition)
erzählen:
„Mein Vater hatte von seinem Vater eine Bank geerbt, wir waren immer reich. Aber dann, lang nach dem Krieg; ich war noch ein bisschen jünger als du jetzt – wie alt bist du eigentlich?“
„Dreiunddreißig.“
„Ok, zehn Jahre jünger als du jetzt, nun, da wurde gegen die Bank meines V aters ermittelt, Nazigold und so. Meine Mutter, ursprünglich eine ukrainische Jüdin, fand das furchtbar und verließ meinen Vater.“
„Gegen eine Schweizer Bank? Damals?“, rutschte es Dreyer raus, bevor er fes tstellte, dass das pietätlos war. Alexander bemerkte den schuldigen Blick.
„Nur intern, das hat kaum jemand mitbekommen. Ich wüsste es selbst nicht, und es ist auch nichts Offizielles passiert. Aber meine Mutter war weg, und mein Vater…“
Dreyer schenkte sich und seinem neuen Bekannten Rum nach, während Al exander Rybak pausierte.
„… mein Vater hat es nie überwunden, dass sie weg war. Ein paar Monate sp äter, ich war an der Universität in Zürich, kommt der Rektor abends in meine Bude…“
Rybak machte wieder eine Pause. Er hatte die Geschichte so oft erzählt, dass er sie selbst fast glaubte.
„… und sagt mir, mein Vater hatte einen Autounfall nach einer Konferenz in Davos gehabt.“
„Das ist ja entsetzlich.“, sagte Dreyer – die Geschichte war fast schlimmer als seine eigene.
„Du wirkst, als würdest du das verstehen?!“, sagte Rybak, den traurigen, anteilnehmenden, aber irgendwie selbst betroffenen Blick in Dreyers Augen bemerkend. „Ist bei dir auch…?“
Dreyer überlegte kurz. Es wäre nicht fair, durch seine Geschichte die seines neuen Freundes kaputtzumachen. Er schwieg.
„Naja“, fuhr Rybak fort, „mir ging es ein paar Monate, ach, das ist lang her, eigentlich war es so im Rückblick hauptsächlich seltsam. Bis irgendwann mein Onkel Walter kam. Walter war nicht wirklich mein Onkel, eher ein enger Freund der Familie, der sich um den Nachlass meines Vaters gekümmert hat. Und er fragte mich, ob ich denn die Bank behalten will.“
„Gehören Banken nicht mehreren Leuten, normalerweise?“
„Nur die Großen. Nun, und mein Onkel Walter machte mir ein Angebot, was sehr vernünftig klang, weil seine Bank expandieren wollte und wir viel in Osteuropa gemacht haben.“
„Und dann hast du deine Bank verkauft?“
„Natürlich.“
„Also, ich find’s ja traurig mit deinen Eltern“, sagte Dreyer, „aber das danach, so viel Seemannsgarn auf einmal hab ich noch nie gehört.“
Rybak räusperte sich. Als er die Geschichte zum ersten Mal gehört hatte, konnte er sie auch nicht glauben. Aber er war gut vorbereitet – denn der Teil mit Onkel Walter war wenigstens halbwegs wahr. „Aber, aber“, sagte er und griff in die Tasche seiner weißen Leinenhose. „Lass mich fertigerzählen“.
Dreyer lächelte, etwas verwirrt.
„Ich las dann, in den frühen Sechzigern, in einer britischen Yachtzeitschrift, dass ein sechzehnjähriger Engländer alleine um die Welt segeln will. Und fasste den Beschluss, das einfach auch zu machen.“
„O K, das glaub ich jetzt wieder.“
„Ja, und dann sagte ich meinem Onkel Walter, dass er meine Bank bekommt, wenn er dafür sorgt, dass ich immer genug Geld habe, egal wo ich bin.“
„Und dann gründete Onkel Walter MasterCard, das würde ja in die Zeit passen?“, scherzte Dreyer.
„Nein, das waren Schweden“, sagte Rybak, sehr zu Dreyers Verwunderung über dieses Wissen. „Nein, Schweizer sind da etwas subtiler. Onkel Walter meinte, das ginge schon, und gab mir seine Visitenkarte“, fuhr er fort und nahm eine alte, zerknickte und, wohl zum Schutz vor völligem Zerfall in einer dünnen Plastikhülle steckende Karte heraus und gab sie Dreyer. Auf der Rüc kseite stand:
5 3 9 4 2 8 6 5 7 8 3 5 6 9 8 1
“N I K I T A”
Nur Zahlen und ein Wort, in einer fein säuberlichen Handschrift, so wie man sie einem altehrwürdigen Schweizer Banker unterstellen würde. Dreyer drehte die Karte um.
Walter Bull
Geschäftsführender Gesellschafter
Bankhaus Julius Bull & Cie.
Bahnhofstraße 36, Zürich
Sein junger Freund Daniel, dachte Rybak, hatte in diesem Moment genau den gleichen Gesichtsausdruck wie der freundliche alte Herr Bull 1964, als Rybak ihm einen Zettel übergab, auf dem neben vielen offiziellen Stempeln nicht viel mehr stand als „Richten Sie für den Überbringer dieser Nachricht ein Konto im Gegenwert von einer Tonne Gold ein.“
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Dreyer und Rybak trafen sich zum Frühstück am nächsten Tag auf Rybaks
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